Rezensionen zu Jüdische
Bildungsgeschichte in Deutschland Band 4
Als vierter Band liegt die hervorragende erziehungswissenschaftliche
Hamburger Dissertation einer der Reihenherausgeberinnen vor. Britta
Behm untersucht 'Mendelssohns Anteil an der Transformation der traditionellen
jüdischen Erziehung'; erstmals liest sie seine Werke und sein Leben
konsequent als Quellorte, wenn nicht einer 'Bildungstheorie', so doch
eines jüdischen 'Beitrag[s] zum zeitgenössischen Bildungsdenken'.
Die klaren methodischen Grundsätze dieser Studie, ihre leitenden
Thesen, die u.a. darauf zielen, Erziehungsreform nicht als Nebenschauplatz,
sondern als 'Kernanliegen' der Haskala zu begreifen, und der chronologische,
gleichermaßen quellenorientierte wie systematisch interessierte
Aufbau lassen ein gut lesbares Buch entstehen. In der Sache fügt
es dem herkömmlichen Mendelssohn-Bild, in dem sein Beitrag zur
Theorie jüdischer Erziehung eigentümlich unterbelichtet blieb,
wichtige Aspekte hinzu: etwa den Entwurf des '(Erziehung-)Ideal[s] des
frommen Bürgers' im Qohelet Musar von 1758, die Beschreibung der
'Erziehung im Hause Mendelssohn', die Würdigung des Umstandes,
dass Mendelssohn ab 1784 dem Begriff 'Bildung' einen zentralen Stellenwert
in seinem Denken einräumt. Dank ihrer Qualitäten sollte diese
Arbeit Anlass geben, Mendelssohn und andere jüdische Stimmen in
den historischen Bildungsdiskurs (wie in die Diskussion unserer Tage)
einzubeziehen.
Bernd Schröder (Saarbrücken),
in: Theologische Literaturzeitung 132 (2007) 1, Sp. 92.
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Behm´s monograph ... is of direct relevance to
the concerns of Aleph, inasmuch as it devotes much attention
to the gradual introduction of secular learning into the Jewish curriculum,
notably in Berlin. Moses Mendelssohn is at the center of this ambitious
study. Devoting considerable attention to his early education in Dessau
and subsequently in Berlin, Behm points at the formative role of two
rabbis, David Fraenkel and Israel Zamosc, and emphasizes that these
two belie the common stereotype that Talmud scholars were necessarily
ignorant of philosophy and science and opposed to their study. Behm
similarly shows that some sons of wealthy families received a secular
education even before Mendelssohn´s influence became felt in Berlin.
... It is a well-researched and insightful study of Jewish education
in Berlin in its wider context in the second half of the eighteenth
century.
Aleph: Historical Studies in Science and Judaism
Volume 4, 2004, S. 323.
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In Part 4 of the aforementioned series, Behm describes
extensively how the schools educated the young Jewish boys in a religious
sense; it was a systematic restructuring of, and addition to, the tradition
at home. [...] Behm took it upon herself to prove that Mendelssohn´s
ideas formed the basis of the then modern ideas concerning the upbringing
and education of Jewish children. She pays much richly documented attention
- to her merit - to Mendelssohn´s ideas concerning Jewish anthropology,
the Jewish marriage and the families in which Jewish boys and girls
grew up.
Nan L. Dodde (Rotterdam, Niederlande), in: Paedagogica
Historica Vol. 40 (June 2004) No. 3, S. 359f.
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Whether by intention or lucky coincidence, the first
monographs in this series can be seen as hallmarks in the historiography
of German education. [...] Britta Behm´s recent work exemplifies
the new approaches and directions in historical scholarship on the Haskalah
- the Jewish Enlightenment in the eighteen century - since the publication
of the classic works of Eliav and his distinguished mentor Jacob Katz.
[...] To a greater extent than Eliav had done in his research, Behm
adopts a social-historical and integrative approach that places events
in the Jewish community in relation to developments in the surrounding
culture. The attempts of a new Jewish bourgeoisie to reform the traditional
Jewish education, which was exclusively religious and devoted to the
study of the Talmud and which created a deep cultural isolation from
the majority culture, are examined as part of a larger historical process
of social change.
Marjorie Lamberti (Middlebury, Vermont),
in: Zeitschrift für pädagogische Historiographie 9 (2003)
1, S. 3f.
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Jede Auseinandersetzung mit Moses Mendelssohn ist vor
ein immenses Problem gestellt [...] Britta L. Behms Dissertation hat
sich bewußt der Herausforderung gestellt und sie bravourös bestanden.
Ihre fünf konzentriert entwickelten Thesen werden künftig weder von
Historikern, Judaisten, Literaturwissenschaftlern noch von Philosophen
ignoriert werden können. [...] Der Autorin ist eine hervorragende Studie
gelungen.
Aus: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 50. Jg. H. 12. 2002. S.
1127f.
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[...] Obschon Leben und Werk Mendelssohns seit dem Erscheinen
von Alexander Altmanns umfassender Biographie von 1973 historiographisch
außerordentlich eingehend untersucht und dokumentiert worden sind und
gerade auch durch die neuesten Arbeiten von David Sorkin und Shmuel
Feiner überzeugend interpretiert werden konnten, sind Mendelssohns ausgeprägte
pädagogische Interessen von der mit der jüdischen Aufklärung (Haskala)
befassten Forschung bisher doch zumeist nur am Rande abgehandelt worden.
Behm analysiert Mendelssohns von der Bildungsgeschichtsschreibung
zu unrecht vernachlässigte Gedanken über Erziehung in beeindruckender
Ausführlichkeit, wobei sie sowohl dessen deutsch- wie auch hebräischsprachige
Schriften auswertet. Zudem untersucht sie Mendelssohns Vorschläge zu
einer grundlegenden jüdischen Erziehungsreform auf einer breiten Basis
von bisher noch nicht edierten oder gar unbekannten Quellen, die sie
stringent in Beziehung zu den zeitgenössischen Entwicklungen im Erziehungswesen
der christlichen bzw. protestantischen Umgebungskultur setzt. So entsteht
ein erstaunlich genau rekonstruiertes Bild der von Mendelssohn angestoßenen
Veränderungen im jüdischen Erziehungswesen Berlins.
Dass Mendelssohn schon in seinem 1754 von Lessing veröffentlichten
Brief an Aron Salomon Gumpertz die Möglichkeit einer – vor allem durch
geeignete Erziehungsmaßnahmen bewirkten – Verbesserung der Situation
der Juden thematisierte und an dieser Vision bis hin zu seinen bildungstheoretischen
Stellungnahmen im Aufsatz "Über die Frage: was heißt aufklären?" (1784)
festhielt, wird von Behm in bewundernswürdiger Klarheit und Plausibilität
vorgeführt. Auch zeigt sie deutlich auf, dass Mendelssohn seine pädagogischen
Ideen immer gegenüber einem doppelten Publikum und einer doppelten Leserschaft
vorzutragen hatte. Im Diskurs der deutschsprachigen Spätaufklärung musste
er gegenüber seinen christlichen Zeitgenossen die Mitglieder der jüdischen
Gemeinde als prinzipiell aufklärungskompatibel beschreiben, während
er unschlüssige oder unwissende Juden, die noch ganz im Bann des tradtionalistischen
religiösen Widerstands gegen Aufklärung standen, von der Vereinbarkeit
einer aufklärerischen Pädagogik zu überzeugen hatte.
Ein eindrückliches Beispiel für Mendelssohns Absicht,
jüdische Talmudstudenten auch zum Erwerb nichtjüdischer, profaner Bildung
anzuregen, ist die von ihm im Jahre 1758 herausgegebene hebräischsprachige
Wochenschrift "Qohelet Musar" (Moralprediger). Da bisher noch keine
deutsche Übersetzung dieser Moralischen Wochenschrift vorliegt, erschließt
Behms Interpretation der im "Qohelet Musar" enthaltenen Bildungsvorstellungen
nun dankenswerterweise auch einer deutschsprachigen Leserschaft den
Weg zu einem besseren Verständnis der schon in den 1750er Jahren von
Mendelssohn verfolgten Absicht einer deutlichen Hebung des Bildungsstandards
der Berliner jüdischen Gemeinde. Auch das von Behm gut dokumentierte
Eintreten Mendelssohns für die erste jüdische "Bürgerschule" Europas,
die 1778 in Berlin gegründete jüdische Freischule, und die Beschreibung
der – für zahlreiche jüdische Familien nachahmenswerten – konkreten
Erziehungsabläufe im Hause Mendelssohn zeigen, wie umfassend Mendelssohn
als Verfechter einer jüdischen Erziehungsreform agierte.
Wie Mendelssohn dann andererseits gegenüber den christlichen
Vertretern der deutschsprachigen Aufklärungspädagogik argumentierte,
um Verständnis für sein Projekt einer jüdischen Bildungsreform zu wecken,
führt Behm vornehmlich mit Blick auf dessen Beziehungen zu den führenden
Vertretern der philanthropischen Erziehungslehre vor. Gerade Mendelssohns
freundschaftliches Verhältnis zu Johann Bernhard Basedow, das in der
bisherigen Bildungsgeschichtsschreibung noch längst nicht genügend untersucht
worden ist, analysiert Behm in bisher noch nicht dagewesener Ausführlichkeit.
Dabei zeigt sich, dass Basedow durchaus Mendelssohns Anliegen verstand
und unterstützte, wenn dieser zwar einerseits den jüdischen Bildungsstandard
durch Aufnahme auch profaner Wissenschaften in das jüdische Curriculum
heben wollte, deswegen aber andererseits keinesfalls beabsichtigte,
vom Judentum abzurücken. Dass Basedows Verhalten auch für einen aufgeklärten
Pädagogen nicht selbstverständlich war, zeigt das Verhalten eines anderen
bedeutenden Vertreters des Philanthropismus. Wie Behm herausarbeitet,
forderte der märkische Freiherr und Schulreformer Friedrich Eberhard
von Rochow Mendelssohn nämlich gerade unter Verweis auf dessen bildungstheoretische
Überlegungen rundheraus zur Konversion zum Christentum auf.
Die differenzierte und ausführliche Darstellung von
Mendelssohns zwischen 1750 und 1790 entwickelten bildungstheoretischen
Überlegungen, die Behm stets unter Bezug auf andere bedeutende Reformbestrebungen
im deutschen Erziehungswesen der Spätaufklärung abhandelt, ist eine
in jeder Hinsicht lohnende und informative Lektüre, die durch ein ausführliches
Personenregister sowie durch ein hebräisches Glossar zusätzlich erleichtert
wird. Dem Buch, das für Studierende wie für Fachkollegen in gleicher
Weise interessant ist, weil es allgemeinverständlich geschrieben ist
und zugleich neue wissenschaftliche Standards setzt, sind viele an der
Judaistik, Geschichtswissenschaft und Pädagogik interessierte Leser
zu wünschen.
Jürgen Overhoff (Berlin), in: Erziehungswissenschaftliche
Revue 2 (2003), Nr. 1 (veröffentlicht am 30.1. 2003), http://www.klinkhardt.de/ewr/83091135.htm
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Jörg H. Fehrs (Berlin), in: Zeitschrift
für Museum und Bildung 59 / 2003, S. 116ff.
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