Rezensionen zu Jüdische
Bildungsgeschichte in Deutschland Bd. 6
[...] Mit Übersetzungen aus dem Haskala-Hebräischen
und dem Deutsch-Jüdischen aus der Aufklärungsepoche öffnet
dieser durch Register, Kurzbiographien der Autoren und ein Glossar sehr
gut erschlossene Quellenband mit 55 Texten vielfältige Innenansichten
zur intensiveren Einbeziehung von Erziehungsprogrammen jüdischer
Autoren in die Überlegungen und Denkweisen des aufklärerischen
pädagogischen Jahrhunderts. In Preußen trugen diese
Diskurse mit zum Emanzipationsedikt von 1812 bei. Eine 2001 von den
Herausgeberinnen als Bd. 1 dieser Reihe bearbeitete Quellensammlung
zur jüdischen Freischule in Berlin hatte zu dieser von der Bildungsgeschichte
nahezu übersehenen Entwicklung einen ersten und unübersehbaren
Akzent gesetzt.
Die zahlreichen Übersetzer haben ein vor allem
durch die Breite der Überlegungen überzeugendes Werk vorgelegt.
Gegliedert in Schwerpunkte von 'Tora und Vernunft, Talmud und Wissenschaften'
über allgemeine moralische, literarische, erziehungstheoretische
Aspekte bis hin zu didaktischen und Lehrbuchausgaben verdeutlichen diese
Texte die Teilnahme der jüdischen Intelligenz an dem Diskurs der
pädagogischen Aufklärer in Deutschland. [...]
Manfred Heinemann (Hannover), in: Bildung
und Erziehung 62. Jg. (März 2009), H. 1, 123-124.
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[...] War der erste Quellenband Chevrat Chinuch Nearim
- Die jüdische Freischule in Berlin (1778-1825) im Umfeld preußischer
Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform (2001) thematisch
an der Geschichte einer Institution orientiert, so haben die beiden
Herausgeberinnen sich in dem hier zu besprechenden Band auf programmatische
Debatten über das Bildungsverständnis der jüdischen Aufklärer
aus dem gesamten deutschsprachigen Raum konzentriert.
In acht Abschnitten wird die Entwicklung des modernen
Bildungsverständnisses der Juden in Mitteleuropa dokumentiert.
Damit gelingt es den Herausgeberinnen, entscheidende Schritte dieser
religiös und sozial abgeschlossenen Gruppe auf dem Weg in die christlich
geprägte Mehrheitsgesellschaft nachvollziehbar zu machen und Denkfiguren
und Positionen zu verdeutlichen, die die innerjüdische Diskussion
über das Verhältnis von Vernunft und Religion bis in die dreißiger
Jahre des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Dabei haben die Herausgeberinnen
vor allem darauf geachtet, die Dokumente so auszuwählen, dass die
Umwälzungen des Zeitalters widergespiegelt werden. Die Französische
Revolution und die in ihrem Umfeld stattfindende Debatte um die 'Emancipation'
oder 'bürgerliche Verbesserung der Juden' sind die äußeren
und politischen Ereignisse, moderne Wissenschaft und damit einhergehende
Veränderungen der Auffassung vom Menschen als Vernunftwesen jenseits
religiöser Zuordnungen markieren die Veränderungen des Welt-
und Menschenbildes.
Als terminus post quem wählten die Herausgeberinnen
wohlbegründet den Zeitpunkt des Erscheinens des ersten zweisprachigen
hebräisch-deutschen Bibellexikons als Datum für die durch
die Aufklärung initiierte Programmatik, die jüdische Kultur
und Religion mit der Sprache und Kultur des Aufenthaltslandes zu verknüpfen.
Einen gewissen Abschluss bildet nach Meinung der Herausgeberinnen das
königliche Dekret vom März 1812 zur Einbürgerung der
Juden in Preußen. Die aufklärerische Programmatik einer kulturellen
Verknüpfung mit der umgebenden Gesellschaft wird unter verschiedenen
Aspekten systematisiert, die an inhaltlichen Themen, an literarischen
Gattungen und an institutionell definierten Schriftgattungen orientiert
sind.
Begonnen wird mit zwei Abschnitten, in denen Quellen
zusammengestellt sind, die die klassischen Themen der Aufklärung
diskutieren: Zum einen geht es um das Verhältnis von Tora und Vernunft,
Talmud und Wissenschaft, zum anderen um das von Sittlichkeit und Religion.
Komplizierter als für die deutsche Aufklärung stellt sich
für die jüdischen Aufklärer das Thema von Sprach- und
Schreiberwerb dar, angesichts der sprachlichen Situation der jüdischen
Gemeinde zwischen Jiddisch, Hebräisch und Deutsch. Auch die Frage
der Bildungspolitik im Prozess der Bildung des Nationalstaats, eingeläutet
durch die Bildungspolitik der französischen Revolution, fortgeführt
durch Napoleon und seine allfälligen Nachahmer in Europa, bedeutete
für eine religiöse und kulturelle Minderheit etwas anderes
als für die sprachlich und religiös homogenere Mehrheitsbevölkerung:
Ob die Juden überhaupt zu Patrioten erzogen werden können,
wurde zunächst von Repräsentanten der christlichen Mehrheitsgesellschaft
infrage gestellt, aber auch jüdische Traditionalisten standen dem
Projekt der Nationalerziehung kritisch gegenüber. Insofern gilt
für diese Frage noch mehr als für andere, dass die jüdischen
Aufklärer einen Kampf an zwei Fronten führten: einen nach
innen und einen nach außen. Im siebten und achten Teil stellen
die Herausgeberinnen mit Schulreden und Einführungen in Lehrbücher
Texte zusammen, die das Projekt der Emanzipation durch Bildung praktisch
umsetzten.
Bei der Lektüre der Quellen fällt vor allem
auf, wie stark viele der hier wiedergegebenen Texte der jüdischen
Tradition verbunden sind: Die Rede in Bildern und Gleichnissen, Bewahrung
einer literarischen und argumentativen Tradition, in der die Schreibenden
ausgebildet sind, prägt auch ihre Beiträge zur 'Modernisierung'
der jüdischen Religion und Kultur und vermittelt einen Eindruck
von der bis ins 18. Jahrhundert viel schwächer durch Synkretismus,
Amalgamierung und Reformation als die christlichen Kirchen bestimmten
religiösen und kulturellen Welt der mitteleuropäischen Juden.
Umso überraschender ist, wie schnell einzelne Gruppen
der jüdischen Gemeinde in Deutschland und Teilen der Habsburger
Monarchie das traditionelle Lernverständnis an aufklärerisches
Gedankengut adaptieren. Religion wird bei diesen Autoren ähnlich
wie bei den Philanthropen zum Synonym von Sittlichkeit. In dem titelgebenden
Imperativ des Quellenbandes: 'Lerne Vernunft!' findet diese Adaption
ihren prägnanten Ausdruck. Die Vision eines aufgeklärten Zusammenlebenss
der unterschiedlichen religiösen Gruppen in einem modernen Staatswesen,
dessen Bürger gleiche politische Rechte genießen, wird zum
tragenden Fundament der jüdischen Aufklärung. [...]
Es ist den Herausgeberinnen mit diesem Quellenband gelungen,
zum Verständnis des Projekts einer Emanzipation durch Bildung beizutragen.
Die Einleitung führt in die wichtigsten Publikationsmittel und
den intellektuellen Diskurs innerhalb der jüdischen Aufklärer
ein und ermöglicht eine Einordnung der Dokumente. Der Quellenband
ergänzt die oben erwähnten monographischen Studien zur jüdischen
Bildungsgeschichte und eröffnet einen Zugang auch für Leserinnen
und Leser ohne Sprachkenntnisse des Hebräischen und des Jüdisch-Deutschen
zu Texten, die die besondere Ausgangslage dieser Minderheit dokumentieren.
Die hervorragende Qualität der Übersetzungen soll deshalb
noch einmal besonders hervorgehoben werden. [...]
Juliane Jacobi (Potsdam), in: Paedagogica
Historica. International Journal of the History of Education 43
(2007) 3, 450-453.
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[...] Die Auswahl der Texte erfolgte nach deren Zugehörigkeit
zur Haskala im engeren Sinne und ihrer Bedeutung für den jüdischen
aufklärerischen Erziehungsdiskurs. Neben bekannten Maskilim wie
Peter Beer, David Caro, Isaak Euchel, Isaak Satanow und Hartwig Wessely
kommen zur Erweiterung der Themen und der individuellen Motive für
eine Teilnahme am aufklärerischen Projekt auch weniger namhafte
Autoren zu Wort. Auf diese Weise wird vermieden, dass ausschlielich
die größeren Zentren der Haskala in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
rücken. ... Der Band bietet mit dem Abdruck und der Übersetzung
ansonsten teilweise schwer zugänglicher Quellentexte die Grundlage
für weitere Forschung und erlaubt einen umfassenden und informativen
Einblick in die Programmatik und Ziele der Maskilim für das jüdische
Bildungs- und Erziehungswesen. Er leistet einen wertvollen Beitrag zur
Erforschung der jüdischen Bildungsgeschichte in Deutschland.
Caroline Huber (Düsseldorf),
in: sehepunkte 6 (2006) 10 [vom 15.10.2006], sehepunkte.de/2006/10/10487.html
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[...] Der sechste Band ist erneut eine Quellensammlung:
Sie vereint 55 Texte bzw. Textauszüge jüdischer Aufklärer
zum Verhältnis von 'Tora und Vernunft', zur Bildungskonzeption,
zur Bildungspolitik sowie Schulreden und Auftaktkapitel von Unterrichtsbüchern.
35 dieser Texte wurden (erstmals) aus dem Hebräischen ins Deutsche
übersetzt (und zwar von Rainer Wenzel, Andrea Schatz, Lucie Renner
und Emily Link); alle diese Texte waren bislang nur äußerst
schwer zugänglich. Die gut 500 Textseiten, die durch Biogramme
der Maskilim und ein Sachregister erschlossen werden, eröffnen
somit eine wunderbare Gelegenheit, sich [...] mit den Ideen jüdischer
Reformpädagogen von Simon Baras bis zu Aaron Wolfssohn bekannt
zu machen. [...]
Bernd Schröder (Saarbrücken), in: Theologische
Literaturzeitung 132 (2007) 1, Sp. 93.
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