Peter Dietrich, Uta Lohmann: Die jüdische Freischule in Berlin

Publikationen


Erschienen in: Ingrid Lohmann, Wolfram Weiße (Hrsg.): Dialog zwischen den Kulturen. Erziehungshistorische und religionspädagogische Gesichtspunkte interkultureller Bildung. Münster, New York 1994, 37-47.



"Daß die Kinder aller Confessionen sich kennen, ertragen
und lieben lernen."

Die jüdische Freischule in Berlin zwischen 1778 und 1825

Von Peter Dietrich und Uta Lohmann

Die 48jährige Geschichte der jüdischen Freischule in Berlin fällt in einen Zeitraum, in dem die Entstehung des modernen Bildungs- und Schulsystems mit den großen kulturellen und sozialen Veränderungen für die jüdische Minderheit in Preußen zusammenfällt. Ebenso wie sich in der christlichen Majoritätskultur eine bürgerliche Gesellschaft allmählich etablierte, formierten sich auch innerhalb der jüdischen Gemeinden neue intellektuelle und kapitalbesitzende Eliten, die die traditionelle Autorität orthodoxer Rabbiner zu brechen begannen. Diese neuen Eliten waren durch ein bewußtes Zugehen auf die Mehrheitskultur gekennzeichnet. Diese Annäherung fand teils unter Aufgabe der jüdischen Identität statt, etwa mit dem Übertritt zum Christentum, teils aber auch mit dem Versuch, die jüdische Identität kulturell neu zu beleben und zu festigen. Dieser letztere Weg war der Moses Mendelssohns, der als "Vermittler zwischen zwei Kulturen" (Lohmann 1992:36) das Streben der Juden nach säkularer Bildung und Aufklärung maßgeblich beförderte.

Als Modellschule, die von einer kleinen Gruppe jüdischer Aufklärer auf den Weg gebracht wurde, war die Freischule die erste Schule der jüdischen Bevölkerungsminderheit im deutschen Sprachraum, der säkulare Erziehungsvorstellungen zugrunde gelegt wurden. Zahlreiche Anregungen für die interne Gestaltung der Schule wurden der führenden zeitgenössischen pädagogischen Reformbewegung, dem Philanthropismus entlehnt. Besonders Kinder aus den unteren sozialen Schichten der jüdischen 'Nation' sollten durch Unterrichtung in nützlichen Kenntnissen und Fertigkeiten zu 'gesitteten Bürgern und treuen Untertanen des Staates' werden. Über viele Jahre, bis dem im Jahre 1819 die preußische Bildungsadministration ein Ende setzte, wurden jüdische und christliche Kinder an der Freischule gemeinsam erzogen (1).

Mit dem folgenden Beitrag soll über ein laufendes Forschungsprojekt zur jüdischen Freischule in Berlin berichtet werden (2). Zwei Gesichtspunkte stehen im Vordergrund unserer Untersuchungen. Zum einen soll in der Diskussion um interkulturelle Bildung und Beschulung von Minoritäten unter Integrationsdruck mit der Hinzunahme der historischen Dimension eine erweiterte Perspektive gewonnen werden. Bei ihren Bestrebungen, Lehr- und Lernprozesse in Migrationsgesellschaften zu verstehen, beschränkt sich die erziehungswissenschaftliche Forschung und Theoriebildung - was die historische Entwicklung betrifft - bisher überwiegend auf Erfahrungen nach 1945 (3). Dabei kann doch gerade der jüdische Weg der Emanzipation und Akkulturation als erstes Beispiel eines Integrationsversuchs zu Beginn der Moderne gelten.

Zum anderen gibt die überaus produktive Verbindung, die Juden zur Überwindung ihrer Diskriminierung mit der Mehrheitskultur eingingen, Anlaß, die Fragestellungen gegenüber etablierten Untersuchungsperspektiven umzukehren. Wir wollen nicht nur fragen, wie sich die jüdische Erziehung unter dem Einfluß der Majoritätskultur veränderte (4)(und wie die Majorität in der Schulfrage mit der jüdischen Minderheit verfuhr), sondern ebenso danach, ob gerade in den - in ihrer Richtung noch offen erscheinenden - Anfängen des Integrationsprozesses auch spezifische Elemente der jüdischen Tradition in die Kultur der Mehrheitsgesellschaft, vor allem in die Entwicklung von Philanthropismus und Neuhumanismus aufgenommen worden sind.

Auf der Suche nach Beispielen für wechselseitige theoretische und konzeptionelle Beeinflussung jüdischer und nicht-jüdischer Aufklärer und Pädagogen ist es sinnvoll, über den Bereich der Schulgeschichte im engeren Sinne hinauszugehen; zumal im Vorfeld der Schulgründung müssen vor allem die frühen Erziehungsvorstellungen von Moses Mendelssohn und von Hartwig Wessely (1782) auf dem Hintergrund der generellen Emanzipationsdebatte des ausgehenden 18. Jahrhunderts mit in Betracht gezogen werden. Daneben soll die öffentliche Reaktion auf den Beginn einer neuartigen jüdischen Erziehung, ihre Aufnahme bei nichtjüdischen Aufklärern und bei Repräsentanten der Mehrheitskultur, ebenso untersucht werden wie die zum Teil gänzlich ablehnende Haltung der jüdischen Orthodoxie gegenüber der Freischule und dem Projekt einer jüdischen Aufklärung (Haskala) insgesamt.

Da wir mit diesen Untersuchungen noch relativ am Anfang stehen, soll an dieser Stelle aber zunächst nur ein Überblick zur Entstehung und Struktur der Freischule, zur Koedukation jüdischer und christlicher Schüler sowie zum Friedländer- Mendelssohnschen Lesebuch für jüdische Kinder gegeben werden.


1. Zur Geschichte der Freischule

Die Befürworter der staatsbürgerlichen Gleichstellung der Juden stimmten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts darin überein, daß, parallel zu einer überfälligen juristisch fixierten Emanzipation, eine Verbesserung der Bildungssituation notwendig war. Mit der Berliner jüdischen Freischule sind so auch die Namen der bedeutendsten Vertreter der Haskala, Moses Mendelssohn (1729-1786), David Friedländer (1750-1834), Hartwig Wessely (1725-1805) und Lazarus Bendavid (1762-1832) verbunden. Im Jahr 1778 gründeten der Seidenfabrikant David Friedländer und sein Schwager, der Hofbaurat Isaak Daniel Itzig (1723-1799) die jüdische Freischule Chevrat Chinuch Ne'arim (Gesellschaft für Knabenerziehung) in Berlin; sie knüpften dabei an ein von der Obrigkeit zwar bewilligtes, aber in der vorgesehenen Form nicht verwirklichtes Schulprojekt aus dem Jahr 1761 an; damals hatten die beiden Hofbankiers Daniel Itzig, der Vater Isaak Daniel Itzigs, und Veitel Heine Ephraim eine Schule für arme jüdische Kinder stiften wollen, in welcher Religion, Latein, Französisch und andere Fächer unterrichtet werden sollten (Geiger 1871,2:134ff).(5) Der eigentliche Initiator der Freischule war wohl Moses Mendelssohn. Er sah in einer neuartigen Schule ein geeignetes Instrument zum Verlassen des kulturellen und sozialen Ghettos und damit zum Erreichen der Emanzipation der Juden. Nach Auskunft David Friedländers verdankten er und andere jüdische Aufklärer (Maskilim) ihre Bildungsvorstellungen den Gedanken Mendelssohns; im Gespräch mit ihm seien viele praktische Erziehungsfragen erörtert und geplant worden (Friedländer 1818:147). Mendelssohn verfolgte die Entwicklung der Freischule mit großem Interesse, und "mit innigem Behagen" habe er der ersten öffentlichen Prüfung in der Freischule selbst beigewohnt (Herzberg 1929:94). Im Programm der Freischule aus dem Jahre 1803 wird die Teilnahme Mendelssohns an den Tätigkeiten innerhalb der Freischule bestätigt; hier heißt es: "Mendelssohn, der Du unsere Wiegenjahre gepflegt, und unsere kindlichen Tritte geleitet hast!" (Itzig 1803:4).

Die Konzeption, mit der, nach einigen Verzögerungen, im Jahre 1781 schließlich ein regelmäßiger Unterrichtsbetrieb aufgenommen werden konnte, besaß denn auch eine andere Ausrichtung als der Armenschulplan von 1761. Die Freischule verstand sich als jüdische Bürgerschule, in der den Schülern die Chance des Aufstiegs in die unteren Mittelschichten durch geregelte gewerbliche Tätigkeit, als Handlungsdiener, Buchhalter oder Rechenmeister, gegeben werden sollte (Nicolai 1786:699, Itzig 1803:8ff). Sie wollte denjenigen die erforderlichen elementaren Qualifikationen zukommen lassen, denen aufgrund von Religionszugehörigkeit, Sprachbarrieren und finanziellen Schwierigkeiten normalerweise selbst der Zugang zu einfacheren Ausbildungen und Tätigkeiten in der noch weithin durch ständische Ordnungen und Zunftschranken bestimmten, feudalabsolutistischen Gesellschaft verwehrt war. Allgemein gilt die Berliner Freischule als Wegbereiterin für vergleichbare Schulgründungen, so daß mit ihr der Beginn der modernen jüdischen Erziehung markiert werden kann (Kurzweil 1987:20, Scheiger 1990:237ff)(6).

1.1. Der Unterricht

Zum ersten Mal bildeten in einer jüdischen Schule die deutsche und die französische Sprache zusammen mit den Realien die Kernpunkte des von christlichen und jüdischen Lehrern gehaltenen Unterrichts. Die Realien waren an der Freischule kaufmännisch orientiert; Schwerpunkte des Unterrichts lagen auf Buchhaltung, Mathematik und Wirtschaftsgeographie. Daneben wurden Geschichte, Zeichnen und Schönschreiben unterrichtet. Das spezifisch jüdische Element im Lehrplan wurde nicht nur durch den Religionsunterricht repräsentiert, sondern gleichermaßen durch die Vermittlung der hebräischen Sprache und die Unterweisung im jüdischen Schönschreiben. Zwar erwähnt Friedrich Nicolai bei einer Aufzählung der Unterrichtsgegenstände 1786 den Religionsunterricht überhaupt nicht; möglicherweise hat er dennoch in den ersten Jahren stattgefunden: in einer Form, die in der Schulnachricht von 1803 als eine Mischung von hebräischem Sprachunterricht, Vermittlung von religiösen Grundkenntnissen, Moralerziehung und Bibellektüre beschrieben wurde: "Die Exegetik wird nach Anleitung des Mendelssohnschen Commentars und der besten anderen hebräischen Commentatoren gelehrt. Mit diesem Unterricht ist zugleich der in der Religion und Moral verbunden. Bei ihm bestrebt sich der Lehrer, seine Schüler mit den Grundsätzen der jüdischen Religion, mit den positiven Vorschriften des Ceremonialgesetzes, besonders aber mit den Lehren einer reinen vernünftigen Sittenlehre, bekannt zu machen" (Itzig 1803:18).

Das Jahr 1806 brachte entscheidende Änderungen für die Schule, als, nach dem Tod Isaak Daniel Itzigs, Lazarus Bendavid, einer der führenden Maskilim der jüngeren Generation, zum Schulleiter ernannt wurde. Seinen radikal aufklärerischen Ideen entsprechend schränkte Bendavid den Hebräischunterricht ein und versuchte mit mehr Nachdruck, die bürgerliche Gleichstellung der Juden voranzutreiben. Unter dem Einfluß des Philanthropismus wurden Versuche zur Verbesserung der Erziehungs- und Unterrichtsmethoden unternommen, so etwa durch die Einführung des Prinzips des 'Wetteifers' oder durch Bemühungen, das Interesse der Schüler anzuregen und den Unterrichtsstoff ihren Fähigkeiten anzupassen (Eliav 1960:72,77). Der geringe Stellenwert nicht-realistischer Fächer wurde 1806 deutlich, als Religion und Hebräisch als Unterrichtsfächer kurzerhand ganz wegfielen. Bendavid begründete dies damit, "daß eins Theils die hebräische Sprache und die Dogmatik der jüdischen Religion, als nicht zum praktischen Leben gehörig, keine Gegenstände des Unterrichtes abgeben können, daß hingegen andern Theils auf das kaufmännische Rechnen und Buchhalten viel Sorgfalt verwendet werden muß" (Bendavid 1809:6). Der Verzicht auf den spezifisch jüdischen Unterricht in der Freischule rief jedoch die Schulgegner auf den Plan, so daß ein starker Rückgang von Schülerzahlen und Spendenzahlungen zu verzeichnen war - wohl auch durch die allgemeine Krisensituation des Jahres 1806 bedingt. Bendavid sah sich daher schon nach kurzer Zeit gezwungen, den hebräischen Sprachunterricht wieder in die Schule einzuführen. Diesen Schritt legitimierte er damit, daß "ohne Mathematik und Religion gar keine, und ohne hebräische Sprache keine jüdische Schule mit Recht auf den Namen einer Bürgerschule Ansprüche machen darf" (Bendavid 1810:7).

1.2. Die Schüler

Das Einzugsgebiet der Freischule war nicht auf Berlin begrenzt. Für 1802/03 liegt eine Aufschlüsselung der insgesamt 65 Schüler jenes Jahres vor: Danach stammten nur 23 Schüler aus Berlin, 3 aus Schlesien, 5 aus Westpreußen, 9 aus Südpreußen, 11 aus den übrigen preußischen Provinzen, und 14 kamen aus Gebieten außerhalb Preußens (Itzig 1803:7). Wegen hoher Fluktuation variierte die Schülerzahl von Jahr zu Jahr, bewegte sich aber in einer Bandbreite von 60 bis 80 Schülern jährlich; im Krisenjahr 1806 waren es sogar nur 27 Schüler. Fast alle Schüler mußten aus finanziellen Gründen schon nach zwei Jahren einen Beruf ergreifen. Die Lehrer der Freischule richteten sich auf diese Problemlage ihrer Schüler ein und versuchten, praktisches Basiswissen und Anleitung zum Selbstlernen zu vermitteln: "Der Freischule Ziel muß eine solche Bildung ihrer Zöglinge sein, durch welche sie in den Stand gesetzt werden, sich zu brauchbaren Geschäftsmännern durch eigenen Fleiß selbst weiter auszubilden, und die Gelegenheiten, die sich ihnen hier oder an andern Orten dazu darbieten, gehörig zu benutzen" (Itzig 1803:11).

Da die deutsche Sprache als Unterrichtssprache vielen Schülern erst von Grund auf vermittelt werden mußte, erscheint das Niveau der Schule auf den ersten Blick nicht sonderlich hoch. Sie profitierte jedoch von den traditionellen Methoden jüdischen Unterrichts, wie Itzig anerkennend bemerkte: "Die Erziehungsweise eines großen Theils unserer Glaubensgenossen gibt ihrem Geiste eine gewisse Lebhaftigkeit und Selbstständigkeit, die die Vorsteher und Lehrer unserer Anstalt sowohl beim Unterricht, als bei der Ausbildung ihrer Sitten, stets vor Augen haben müssen. Jene Eigenschaften haben so manches Gute, das durchaus nicht unterdrückt werden darf" (Itzig 1803:9f; vgl. auch Carlebach 1977). Nicht zuletzt diesen Eigenschaften war es wohl zu verdanken, daß die Schule bei öffentlichen Prüfungen von Außenstehenden als erfolgreich bewertet wurde. Im Unterschied zu den Absolventen christlicher Schulen zeichneten sich die Schüler der Freischule weniger durch eingepauktes Reproduzieren als durch selbstständiges Beherrschen des Wissens aus (vgl. dazu Kurzweil 1987:21).

1.3. Die Finanzlage

Die Freischule war Zeit ihres Bestehens nur eine kleine Institution. Man leistete sich nie mehr als acht Lehrer, einen oder zwei Unterlehrer und einen Pedell. Die Lehrer waren gemessen an den Gehältern anderer Schulen unterbezahlt, und in besonders schlechten Zeiten entsagten "sie, die christlichen Lehrer sowohl als die jüdischen, ... freiwillig bis auf beßre Zeiten eines Theils von ihrem Gehalte, begnügten sich mit dem wenigen, was ihnen gereicht werden konnte" (Bendavid 1809:3). Bendavid betätigte sich unentgeltlich als Direktor der Schule. Zeitweise war es nur dieser "Selbstausbeutung des Lehrerkollegiums" (Scheiger 1990:244) zu verdanken, daß die Schule nicht ganz aufgelöst werden mußte.

Der schlechten Vermögenslage entsprechend sah es auch mit der Schulwohnung erbärmlich aus (7). In einem Aufruf um Vermittlung einer besseren Unterkunft beschrieb Bendavid 1817 die elenden räumlichen Verhältnisse der Schule; sie waren nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, daß die Freischule nicht von der jüdischen Gemeinde getragen wurde: "Da werdet Ihr in zwey armseligen Stuben fast neunzig Menschen eingekerkert finden, die kaum Raum genug haben zu stehen, geschweige in den Schreib- und Zeichenstunden gehörig zu sitzen; da werdet Ihr Eins dieser Zimmer finden, in welchem Lehrer und Schüler im Winter mit Nässe, Kälte und Rauch zu kämpfen haben, und mithin gezwungen sind, sich in das andere Zimmer zu flüchten; mit einem Worte, Ihr werdet finden, daß es durch diese Wohnung nicht bloß unmöglich fällt, die Anzahl der Schüler zu vermehren, ...sondern daß dadurch, wie jeder wohl selbst fühlt, auch der fernere Bestand der Schule sich bedroht sieht" (Bendavid 1817:5). Ein Jahr nach seinem Aufruf konnte Bendavid berichten, daß die alte Schulwohnung in der Klosterstraße aufgegeben wurde, da sich in einem von der jüdischen Gemeinde erstandenen Haus in der Rosenstraße eine passende Wohnung gefunden hatte. Diese wurde der Freischule auf Anregung des Geheimen Regierungsrats v. Kamptz überlassen (Bendavid 1818:4).

Die andauernde Geldknappheit erlaubte es der Schule zu keinem Zeitpunkt, alle ihre Zöglinge vom Schulgeld zu befreien; die wenigen Kinder aus finanziell bessergestellten Familien entrichteten eine geringe Unterrichtsgebühr von monatlich eineinhalb Talern, die für viele Schüler, je nach Einkommen der Familie, auch noch ermäßigt wurde. Die Schulleitung war immer bemüht, die Anzahl der Freischüler zu steigern. Betrug der Anteil der Freischüler in den ersten Jahren nach der Gründung laut Nicolai 'beinahe die Hälfte', so sank er bis 1803 auf 10,7% (bei allerdings auch nur 9,2% Vollzahlern), stieg 1811 auf genau ein Drittel und erreichte 1815 einen Wert von 49,3%, der sich in den Jahren 1817 und 1818 mit 48,8% etwa konstant hielt. Zwei Jahre vor Schließung der Schule kamen nur noch 52 Schüler zum Unterricht, von denen allerdings nur sechs Schulgeld entrichteten. Man erreichte also im Jahr 1823 einen Spitzenwert von 88,5% Freischülern.

Hauptsächlich finanzierte sich die Schule aus regelmäßigen Beiträgen einiger Privatpersonen aus der jüdischen Oberschicht Berlins. Mit den unterschiedlichsten Beträgen hatte sie etwa 100 Kontribuenten pro Jahr, durch deren 'Großmut' sie sich am Leben erhalten mußte, da die Einkünfte aus den Schulgeldern nicht einmal die Hälfte der jährlichen Ausgaben deckten. Daneben genoß die Freischule durchaus die Unterstützung einzelner Vertreter der preußischen Administration. Diese ergriffen innerhalb der Behörden immer wieder Partei für sie und ermöglichten der Schule auch die Erschließung eigener Finanzquellen. So setzte sich beispielsweise der Staatsminister v. Münchhausen 1783 für die Einrichtung einer königlich privilegierten orientalischen Buchdruckerei ein, die zeitweilig verpachtet wurde. Im Jahr 1809 verschaffte Wilhelm v. Humboldt der Druckerei mit Hilfe einer Empfehlung beim Innenminister v. Dohna eine ermäßigte Pacht zum Drucken des jüdischen Kalenders. Zu dieser Zeit war die Schule dringend auf den Verkaufserlös dieses Kalenders angewiesen (Bendavid 1810:5, Gutmann 1926:11). Aus den Kassen der jüdischen Gemeinde erhielt die Freischule trotz mehrfacher Bitten keine Unterstützung (8). Ebensowenig sah der Etat des preußischen Staates eine regelmäßige Zuwendung vor. Ein Plan zur Unterstützung der Schule durch das Berliner Oberschulkollegium wurde durch den Kriegsausbruch 1806 zunichte gemacht. So klagte Bendavid: "Wären die bedauernswerthen Unglücksfälle im vorigen Winter nicht eingetreten, so hätte diese Anstalt, so wie die katholische Schule, von einem hochpreislichen Oberschulkollegium, eine so bedeutende Summe jährlich erhalten, daß dadurch wenigstens die Hauptausgaben hätten bestritten und die jetzigen Einkünfte zur Verbesserung verwendet werden können" (Bendavid 1807:162).

Mit zunehmender politischer Restauration verloren die reformfreudigen Personen, die der Freischule gegenüber positiv eingestellt waren, ihre Ämter in der Administration. Die Toleranzbestimmungen von 1812 wurden allmählich unterlaufen, die Nationalisierung des Bildungssystems hatte ihren Anfang genommen, und damit ging eine deutliche Verschlechterung des Klimas für Simultanschulen, wie die Freischule eine war, einher (9).


2. Die jüdisch-christliche Koedukation

Als Lazarus Bendavid im Jahr 1806 die Leitung der jüdischen Freischule übernahm, beschloß er, auch christliche Schüler an die Schule aufzunehmen und sie gemeinsam mit den jüdischen Schülern zu unterrichten (10). Zum hierbei leitenden Emanzipationsgedanken kam eine pragmatische Erwägung: Im Ergebnis der Aufnahme christlicher Kinder erhoffte sich Bendavid eine verstärkte Spendenbereitschaft christlicher Kreise für seine Schule (Eliav 1960:76). Die christlichen Schüler nahmen am jüdischen Schönschreiben teil, doch während des Hebräisch- und Religionsunterrichts wurden sie mit anderen Aufgaben beschäftigt.

David Friedländer, der die Schule gemeinsam mit Daniel Itzig über viele Jahre geleitet hatte, formulierte später ein Credo des Dialoggedankens: Ziel der gemeinsamen Erziehung jüdischer und christlicher Kinder sei es, "daß die Kinder aller Confessionen in früher Jugend sich kennen, ertragen und lieben lernen". Um den gemeinsamen Unterricht zu erleichtern, schlug er vor, den Hebräischunterricht ganz aus dem Lehrplan säkularer jüdischer Schulen zu streichen: "weil überhaupt die Erlernung und der Gebrauch der Ursprache einzig und allein Studium der Gelehrten von Profession seyn und bleiben muß. ...Wenn demnach das Studium des Hebräischen für die Kinder in den Elementar-Classen entbehrlich wird, so würde auch dadurch die sonst in Einer Schule schwer zu bewerkstelligende Vereinigung der Kinder der Israeliten mit Kindern anderer Religions-Verwandten leicht möglich seyn" (Friedländer 1812:14). Anderslautende Stellungnahmen aus den Reihen der preußischen Administration einerseits, Auseinandersetzungen zwischen Traditionalisten und Anhängern der Reform innerhalb der jüdischen Gemeinde andererseits verhinderten eine Realisierung der Reformvorschläge Friedländers. Die Erfüllung seiner Ziele schien fern, doch wurde in der Freischule zumindest ein Schritt in Richtung dieses Erziehungsideals getan.

Wie der gemeinsame Alltag in der Freischule aussah, wie er praktisch organisiert war und von Lehrern und Schülern erlebt wurde, ist noch zu untersuchen. Daß sie aber hinsichtlich der jüdisch-christlichen Koedukation ihrer Zeit voraus war, wird aus den Worten eines späteren Verfechters der jüdischen Erziehungsreform deutlich: "wenn wir auf die von jüdischen und christlichen Lehrern und Schülern besuchte Anstalt Bendavid's zurückblicken, so muß es uns fast vorkommen, als wenn in einer Hauptbeziehung die Gegenwart unseres Schulwesens sich zur Vergangenheit nicht gerade als eine fortschrittliche Zeit verhielte" (Ritter 1861:45f). Inwiefern die Koedukation jüdischer und christlicher Kinder einer Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft um 1800 förderlich war, bleibt zu untersuchen.

Die gemeinsame Unterrichtung wurde anfänglich von der preußischen Bildungsadministration befürwortet oder zumindest nicht unterbunden; doch wendete sich das Blatt im Zuge der Restauration. Friedrich Wilhelm III. verbot mit Verweis darauf, daß die christlichen Schüler der Freischule gemeinsam mit den jüdischen Schülern im jüdischen Schönschreiben unterrichtet würden, jenen per Dekret kurzerhand den weiteren Schulbesuch. Offiziell wurde der Ausschluß christlicher Kinder vom Besuch der Schule mit fehlendem Religionsunterricht für sie begründet. Alle Versuche, auch von nichtjüdischer Seite, den ministeriellen Erlaß zu revidieren - so verwies beispielsweise der Konsistorialrat Bellermann auf die Einzigartigkeit des kaufmännischen Charakters der Ausbildung (Geiger 1871,2: 236f) - blieben erfolglos; die christlichen Schüler mußten die Schule im September 1819 verlassen. Der ausschlaggebende Grund für das Verbot der Koedukation war wohl die Tatsache, daß der gemeinsame Unterricht unter jüdischer Aufsicht stattfand, als "gegenseitige Annäherung unter umgekehrten Vorzeichen" (Fehrs 1990:100). Den Argwohn der Administration erregte der Sachverhalt, daß eine als Minderheit deklarierte soziale Gruppe im Rahmen der gemeinsamen Unterrichtung jüdischer und christlicher Kinder die pädagogische Leitung innehatte. Dreizehn Jahre Koedukation an der Freischule fanden auf diese Weise ihr abruptes Ende. Es markiert den Beginn verstärkter nationalistischer Formierung des Bildungswesens und zugleich das Ende der Wirksamkeit kosmopolitischer Orientierungen, die die philanthropistische Pädagogik in die Schulpolitik der Jahrzehnte zuvor eingebracht hatte.


3. Das jüdische Lesebuch

1779 erschien in Berlin ein Lesebuch für jüdische Kinder. Zum Besten der jüdischen Freyschule. Herausgeber dieses Lesebuchs war David Friedländer; Moses Mendelssohn gilt als eigentlicher Initiator und Mitarbeiter. Zahlreiche der im Lesebuch vorhandenen hebräischen Erzählungen und Fabeln sowie die Zehn Gebote wurden von Mendelssohn ins Deutsche übertragen (Stern 1934:14ff; vgl. dazu Shavit 1990); letztere erschienen später auch in seiner Tora- Übersetzung. Die Quellenlage läßt bisher noch keine eindeutigen Aussagen darüber zu, ob und in welchem Umfang das Lesebuch tatsächlich an der Freischule verwendet wurde. In den zwischen 1803 und 1826 datierten Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande der jüdischen Freischule in Berlin sowie in einem Lektionsplan der Freischule aus den Jahren 1809-12 findet es jedenfalls als Unterrichtsmaterial keine Erwähnung. Daher liegt der Schluß nahe, daß es allenfalls in den Anfangsjahren der Schule als Lehrbuch benutzt wurde. Ebenso wie die tatsächliche Nutzung des Lesebuchs sind auch die Gründe für sein fast völliges Verschwinden ungeklärt; sie stehen im Widerspruch zu der Tatsache, daß es nicht nur bereits ein Jahr nach Veröffentlichung in Prag neu aufgelegt wurde, sondern auch in christlichen Kreisen bemerkenswert viel Aufmerksamkeit erweckte (Stern 1934:11, Friedländer 1818:147). So wurde es etwa 1790 in einem Handbuch für Erzieher lobend erwähnt: "das Büchlein enthält doch so viel trefliches, welches höchlich verdient in unsere Bücher selbst zur Bildung junger Leute aufgenommen zu werden, daß es jeder Leser dem Herrn Friedländer Dank wissen wird, eine so schöne Sammlung veranstaltet zu haben" (Baur 1790:118). Daß das Lesebuch dennoch völlig in Vergessenheit geriet, wird gewöhnlich damit erklärt, daß viele der in ihm enthaltenen Texte, vor allem die den talmudischen Fabeln zu entnehmenden Sinngehalte, über das Fassungsvermögen von Kindern hinausgingen (Shavit 1992:115). Da es jedoch ausdrücklich für die Freischule zusammengestellt worden war, kann vielleicht von anderen Voraussetzungen ausgegangen werden: Die meisten Schüler, die übrigens nicht mehr im Kindesalter, sondern überwiegend schon Jugendliche waren, verfügten aus ihrer familialen religiösen Erziehung und Sozialisation heraus bereits über talmudische Vorkenntnisse (Carlebach 1977). In diesem Sinne stellt auch Levi fest: "Das Mendelssohnsche Lesebuch umschloß auch das lehrhafte und erbauliche Moment; es war Lehr-, Lese-, Familien- und Jugendbuch zugleich" (Levi 1933:51).

Ohne Vorwort oder Anleitung zum Gebrauch, enthält es keinerlei Explikation seiner pädagogischen und didaktischen Absichten; deutlich ist seine aufklärerische Intention, "auf die Vermählung zweier verschieden gearteter Kulturkreise, auf die Vereinigung von jüdisch-religiösem Glauben und Wissen mit deutscher profaner Bildung" hinzuwirken (Levi 1933:52). Zohar Shavit sieht gerade in diesem Wunsch, an beiden Kulturen zugleich festzuhalten, die Ursache für den letztendlichen Mißerfolg des Buchs (Shavit 1992:116). Ein Blick in den Inhalt des Lesebuchs zeigt die Vielfalt der ihm zugrundeliegenden Quellen, die einerseits der Lautbildung mittels Leseübungen sowie dem Erlernen des deutschen, hebräischen und lateinischen Alphabets und andererseits der moralischen Unterweisung der Kinder dienten. Neben den am Anfang stehenden kurzen Anweisungen zum Lesen werden in acht Paragraphen das deutsche kleine und große Alphabet, grammatikalische Einführungen in Vokale, Konsonanten, Silben und Silbentrennung sowie das lateinische und das hebräische Alphabet in Schreib- und Druckschrift vermittelt. Es folgen die Zehn Gebote und die 13 Grundartikel des Judentums nach Moses Maimonides' Kommentar zur Mischna. Im weiteren Verlauf begegnen hebräische Fabeln und moralische Erzählungen, Sittensprüche aus dem Talmud in deutscher Übersetzung sowie mehrere Gedichte deutscher Autoren, wie Johann Nicolaus Götz, Christian Felix Weisse, Johann Joachim Ewald. Eine Sammlung von Sprichworten und Sinngedichten stammt vermutlich aus der Feder Friedländers (Stern 1934:19f). Die hebräische Sprache findet im 'jüdischen Lesebuch' überhaupt keinen Platz. Sämtliche Lesestücke sind in deutscher Sprache verfaßt; lediglich im ersten Abschnitt des Buchs befindet sich ein handschriftliches hebräisches Alphabet, dem ein in hebräischen Buchstaben geschriebener, aber deutschsprachiger Text des jüdischen Hauptgebets Schema Jisrael (Höre Israel) folgt.

Von den elf Kapiteln des Lesebuchs hat Mendelssohn vier aus dem Hebräischen übersetzt, und er ist selbst Autor der Andachtsübungen eines Weltweisen (11). Alle anderen Stücke entstammen nicht-jüdischen Quellen, deren Auswahl Friedländer in Orientierung an den universalen Ideen von Aufklärung und Humanismus traf. Für keines der im Lesebuch enthalten Stücke ist eine Quellenangabe gemacht, ja das Lesebuch selbst ist anonym erschienen (Hasse 1993:5).

Mehrfach ist der Versuch unternommen worden, das jüdische Lesebuch auf einen Vorgänger innerhalb der deutschen Lesebuchliteratur zurückzuführen, so etwa auf Friedrich Eberhard von Rochows 1776 erschienenen Kinderfreund (Eliav 1960:72). Bei dessen näherer Analyse wird jedoch deutlich, daß er nicht mit Friedländers Lesebuch vergleichbar ist; eher gewann Friedländer Anregungen durch Johann Bernhard Basedows Kleines Buch für Kinder aller Stände (1771), Johann Georg Sulzers Vorübung zur Erweckung der Aufmerksamkeit und des Nachdenkens (1771) und Christian Felix Weißes Neues ABC-Buch (1773) (vgl. dazu Hasse 1993:7). Tatsächlich jedoch schuf Friedländer ein in seiner Art einzigartiges Werk: "Durch die Benutzung verschiedener deutscher Texte als Modelle für sein Lesebuch bemühte sich Friedländer, ein jüdisches Äquivalent zu deutschen Lesebüchern zu schaffen, ...er unternahm es mit Hilfe Mendelssohns, deutsche Kultur in jüdische Kultur umzuwandeln" (Shavit 1992:109). Als dem ersten von vielen deutschen Lehrbüchern, die später für jüdische Schulen herausgegeben wurden, kommt dem Lesebuch für jüdische Kinder eine herausragende kulturhistorische Bedeutung zu.

Mit der Berliner Freischule nahm das moderne jüdische Bildungswesen in Deutschland seinen Anfang. Sie leistete, nicht zuletzt durch die Praxis gemeinsamer Unterrichtung jüdischer und christlicher Schüler, ihren Beitrag zum Aufbruch der Juden in die Moderne. Zugleich trug sie zur Überwindung der kulturellen Isolierung bei, in die der feudalgesellschaftliche Ausschluß der Juden aus der Welt der Stände sie gebracht hatte. Die Freischule konnte nämlich eines der wichtigsten Erziehungsziele der Maskilim für die jüdische Emanzipation realisieren: Ihre Absolventen wählten andere Berufsarten als 'Handel und Schacher'. In einer der letzten Schulnachrichten stellte Bendavid befriedigt fest: "Viele von den abgegangenen Schülern sind nach ihrer Heimath zurück gekehrt, einige wenige widmen sich dem Handelsstande, die übrigen aber haben den für arme Kinder weit richtigeren Gesichtspunct aufgefaßt, und die Erlernung eines nützlichen Handwerks, als das Mittel ihre Nahrung dereinst ehrlich zu erwerben, ergriffen" (Bendavid 1823:9).

Am 29. Dezember 1825 schloß die Freischule ihre Pforten. Innerhalb der jüdischen Gemeinde hatte sich die Haltung zur Frage einer säkularen jüdischen Erziehung mittlerweile gewandelt. Der 1823 neu gewählte Gemeindevorstand entschied, daß die Gemeinde selbst die Verantwortung für die jüdische Erziehung und zumindest teilweise deren regelmäßige Finanzierung aus dem eigenen Budget übernehmen sollte. Daß der neue Gemeindevorstand dabei keine Schule nach dem traditionellen Muster eines 'Cheder' oder einer 'Talmud-Thora- Schule' im Sinn hatte, sondern eher dem Vorbild der Freischule folgte, wird aus dem Personenkreis ersichtlich, der zur Erstellung eines Plans für die Gemeindeschule ausgewählt wurde. Allesamt waren sie Modernisten: David Friedländer, Leopold Zunz, Isaak Levin Auerbach und Lazarus Bendavid (vgl. Meyer 1992:232). Im Dezember 1825 wurde die Gemeinde-Knabenschule eröffnet; Schüler und Lehrer der Freischule wurden von ihr übernommen (Gutmann 1926:14ff).


Anmerkungen

(1) Die Bezeichnung als Freischule bezog sich auf den unentgeltlichen Schulbesuch, den man für das Gros der Schüler zu ermöglichen suchte.
(2) Es handelt sich um ein DFG-Projekt, das am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg unter dem Titel Jüdische Dialogkultur und das Problem der Interkulturalität. Historische Rekonstruktion am Beispiel der jüdischen Freischule in Berlin (1778-1825) (Leitung: Ingrid Lohmann) durchgeführt wird. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Projekt waren bzw. sind Anja Hasse und Annette Vogel, Uta Lohmann, Peter Dietrich und Christian Bahnsen. Der vorliegende Beitrag ist die überarbeitete und erweiterte Fassung des Vortrags, den Annette Vogel und Peter Dietrich auf der Tagung Dialog zwischen den Kulturen gehalten haben.
(3) Zu den wenigen Ausnahmen gehört das Projekt Bildung und Erziehung ethnischer Minderheiten im Deutschen Reich: Die Minderheitenschulfrage in der Weimarer Republik unter der Leitung von Marianne Krüger-Potratz, das im Rahmen des DFG- Schwerpunktprogramms FABER (Folgen der Arbeitsmigration für Bildung und Erziehung) durchgeführt wird.
(4) In der erziehungshistorischen Literatur ist für diese Fragerichtung im Hinblick auf die jüdische Emanzipationsphase nach wie vor die Studie von Eliav (1960) grundlegend; vgl. aber auch Carlebach 1977.
(5) Dieses Schulprojekt ist nicht identisch mit der von Harald Scholtz angesprochenen Industrieschule. Vgl. in diesem Band S. 32.
(6) Nachfolgeschulen entstanden z.B. 1791 in Breslau, 1794 in Hannover, 1799 in Dessau, 1801 in Seesen, 1804 in Frankfurt am Main und 1807 in Wolfenbüttel. Hier wurde die erst 1786 gegründete, streng religiös orientierte Talmudschule zu einer Freischule mit aufklärerischem Erziehungskonzept umgestaltet.
(7) Fehrs (1993:42ff) geht davon aus, daß die Schule, der 1782 per Kabinettsordre der "Ankauf eines kleinen Schulhauses" genehmigt worden war, mehrmals umziehen mußte und in verschiedenen Mietwohnungen untergebracht war; 1803 und früher war sie in Räumen im Hause Klosterstraße 35, ab 1806 im Hause Klosterstraße 9 situiert.
(8) Einen Grund für die ablehnende Haltung der Gemeinde sah Bendavid darin, daß "der größte Theil der Gemeinde noch fest an dem Vorurtheile hielt, daß nur durch den von den sogenannten polnischen Rabbinern ertheilten Unterricht Heil und Segen, und, mit Ausnahme des Schreibens und Rechnens, von jeder andern Kenntniß nur Gottlosigkeit und Sittenverderbniß zu erwarten stehe" (Bendavid 1825:fol.1).
(9) Vgl. dazu Cabinets-Ordre v. 4. Octbr. 1821, mitgetheilt durch das Rescript v. 27. April 1822, betr. die Simultan-Schulen (zit. u.a. bei Heckert 1847:7f).
(10) Nicht nachgewiesen ist bisher, ob es an der Freischule, wie Fehrs (1993:44) behauptet, auch schon zu Zeiten Itzigs eine Praxis gemeinsamer Unterweisung christlicher und jüdischer Kinder gab.
(11) Mendelssohn fertigte diese Beiträge nicht speziell für das Lesebuch an; sie sind auch in anderen seiner Werke veröffentlicht worden - ohne Hinweis auf die Erstpublikation im Lesebuch (Hasse 1993:9).

Literatur

Baur, Samuel (1790): Charakteristik der Erziehungsschriftsteller Deutschlands. Leipzig. Unveränderter Neudruck, mit einer Einleitung von Gernot Koneffke, Vaduz 1981.

Bendavid, Lazarus (1807): Cirkular an die edlen Jugendfreunde jüdischer Confession, Berlin den 28. Mai 1807. In: Sulamith, eine Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter den Israeliten, 1.Jg., II.Bd., 3.Heft.

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Nicolai, Christoph Friedrich (1786): Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam nebst aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend. Zweyter Band. Berlin 1786. 3. völlig umgearbeitete Auflage (Nachdruck). Berlin.

Ritter, Immanuel Heinrich (1861): David Friedländer. Sein Leben und sein Wirken. Berlin.

Scheiger, Brigitte (1990): Juden in Berlin. In: S. Jersch-Wenzel, B. John (Hrsg.): Von Zuwanderern zu Einheimischen. Hugenotten, Juden, Böhmen, Polen in Berlin. Berlin.

Shavit, Zohar (1990): Friedländers 'Lesebuch'. In: David Friedländer: Lesebuch für jüdische Kinder. Neu herausgegeben und mit Einleitung und Anhang versehen von Zohar Shavit, Jugend und Medien, Band 18. Frankfurt am Main.

Shavit, Zohar (1992): Aufklärung und jüdische Schulbildung in Berlin: Friedländers Lesebuch. In: M. Awerbuch, S. Jersch-Wenzel (Hrsg.): Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik. Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 75. Berlin.

Stern, Moritz (1934): Jugendunterricht in der Berliner jüdischen Gemeinde während des 18. Jahrhunderts. In: Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heft 5, Berlin.

Wessely, Hartwig (1782): Worte der Wahrheit und des Friedens an die gesamte jüdische Nation. Aus dem Hebräischen. Berlin.

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