Rezensionen zu Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland Band 1

 

Die hier aus 15 Archiven kompilierten und in ihrer Mehrzahl erstmals publizierten, zum Teil transkribierten und übersetzten Quellen erhellen neben der knapp 50-jährigen (Vor-)Geschichte, der Konzeption sowie dem unterrichtlichen und ökonomischen Leben der Schule vor allem auch die Konflikte innerhalb der jüdischen Gemeinde, die diese 'liberale' Schule auslöste, und die Reaktionen der nicht-jüdischen Umwelt, namentlich der preußischen Schulverwaltung. ... Die in chronologischer Abfolge präsentierten Texte gewinnen durch die Breite ihrer Gegenstände eine bemerkenswerte Kontextualität. ... Die Grundlagen für solche Anregungen [zur weiteren Erforschung] bereitgestellt zu haben, ist das Verdienst dieser Quellensammlung, durch die das Bild der jüdischen Freischule ungleich facettenreicher als bislang wird. Vor allem die unterrichtsgeschichtlichen Hinweise, die jeweils unter der Rubrik 'Aus dem Alltag der Freischule' geboten werden ..., stellen eine bemerkenswerte Bereicherung dar.

Bernd Schröder (Saarbrücken), in: Theologische Literaturzeitung 132 (2007) 1, Sp. 90.

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The imposing Chevrat Chinuch Nearim (in two parts) is an extremely rich and valuable collection of documents in German (the great majority) and Hebrew, relating to the attempts at pedagogical reform made by Jews in Prussia in the second half of the eighteenth and three first decades of the nineteenth century, and notably by the Freischule or Hevrat hinnukh ne´arim, founded by Isaac Daniel Itzig and David Friedländer in 1778. The detailed table of contents of the documents alone occupies some 27 pages (pp. 87-113). As Michael A. Meyer underscores in his introductory essay (in English), the importance of the Freischule, a small, tuition-free school for poor, mainly Jewish, children, lies in its being a "mirror of attitudes", meaning Jewish (and non-Jewish) attitudes toward secular education. Shmuel Feiner, for his part, writing (also in English) from the perspective of "the Jewish and Israeli historian", notes the acute relevance of the discussion about the legitimacy of including "secular" subjects in Jewish curricula even today (not only in Judaism, one may add). Lohmann emphasizes that the collection includes not only documents bearing directly on the Freischule, but also texts related more generally to the debate over modernization and educational politics. Her long introductory essay (pp. 13-84; in German) offers a well-informed and contextualized history of the Freischule and of Jewish education in Berlin during the eighteenth and early nineteenth centuries. The bulk of the volume consists of some 700 documents, filling more than 1200 pages, many of them taken from archives and here printed for the first time. They include many rare documents, including some in Hebrew. The volume concludes with a glossary of Hebrew terms (for those unfamiliar with Jewish culture), followed by various indexes of persons whose names appear in the book, an index of topics, and an extensive bibliography. All in all, this book is model of its kind and will serve historians for many years.

Aleph: Historical Studies in Science and Judaism, Vol. 4 (2004), S. 320-322.

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Die vorliegende bedeutende Quellensammlung verdankt ihre Entstehung dem DFG-Projekt "Jüdische Dialogkultur und das Problem der Interkulturalität - Historische Rekonstruktion am Beispiel der jüdischen Freischule in Berlin (1778-1825)". ...    Die Gründung der Freischule ist im Zusammenhang der Haskala, der jüdischen Aufklärung, zu sehen. Dem widerspricht nur bedingt, dass dann in der schulischen Praxis, so die Kritik von Shmuel Feiner, nicht gerade die Visionen der Maskilim, der intellektuellen jüdischen Aufklärer, verwirklicht wurden, nämlich eine alternative geistige jüdische Elite gegenüber der talmudischen Gelehrtenelite zu schaffen. Die Berliner Freischule, die gerade nicht für die reiche Oberschicht, die ihre Kinder weiterhin privat erziehen ließ und bald auf die öffentlichen höheren Schulen schickte, sondern - wie Feiner selbst betont - als wohltätiges Werk für Bedürftige geschaffen wurde, musste mit einem solchen Anspruch von vorneherein überfordert sein. Ganz offentlichtlich ist jedoch die Perspektive des israelischen Historikers Feiner geprägt von bis heute weiterwirkenden Diskussionen über moderne jüdische Erziehung. Dort wird in orthodoxen Polemiken die Berliner Freischule als ungutes historisches Beispiel genannt, und die hinter der Freischule stehenden jüdischen Aufklärer und Schulreformer, welche hierzulande - sieht man einmal von Moses Mendelssohn ab - bisher nur wenigen Spezialisten bekannt waren, sind in der dortigen kulturellen Auseinandersetzung nach wie vor präsent.
   Demgegenüber kann die Herausgeberin... in ihrer Einleitung sich gelassen geben. Sie betont mit guten Gründen eine zentrale Einbettung der Freischulgründung in die pädagogische Reformszene der Aufklärungsepoche, eine größere Nähe zum Philanthropismus Basedows und Campes als etwa zu Pestalozzis Armenerziehung, sowie, dass die Freischule wie andere aufklärerische Gründungen mit der Erwartung eines Multiplikationseffektes verbunden war, der auf einen Wandel von Erwerbsformen und Lebensweisen, von Werten und Gesittung zielte. Zu konstatieren ist auch eine Parallelität mit den zentralen Schriften, v.a. der Bibelübersetzung von Mendelssohn. Dessen Nähe zur Freischulgründung wird von Feiner zu unrecht bezweifelt. Mit Mendelssohns Bibelübersetzung waren notwendige Voraussetzungen "für den Einbezug der jüdischen Religion in Bildungsprozesse im modernen Sinne geschaffen"; erst jetzt waren sprachliche, literarische und weltanschauliche Vergleiche naheliegend und damit die Möglichkeit, sie zu Bildungsmitteln zu entwickeln (35).
   Insgesamt gesehen erscheint nicht nur die Geschichte der Freischule, sondern auch das spezielle bildungsgeschichtliche Kapitel als "ein Lehrstück des Nichtfunktionierens einer Politik der allgemeinen Grundsätze" (81). Dort finden sich auch zwei "unselige" Topoi ... aus der preußischen Sektion für Kultus und öffentlichen Unterricht: einmal der Topos von der "unerwünschten Einwirkung jüdischer Schulmänner auf Charakter und Richtung des Geistes christlicher Kinder", zum anderen, dass der wirksamste "Hebel für die weitere bürgerliche Verbesserung der Juden (...) die Reform der Elementarschule" sei (81f). Auf Grund des ersteren mussten 1819 die nichtjüdischen Schüler die Freischule verlassen, die sie bisher erfolgreich als probate "Handelsschule" genutzt hatten, was die Schulgeldeinnahme der Freischule sowie ihren aufklärerischen Anspruch erheblich tangierte. Zum anderen zielte die künftige primäre - und flächendeckende - Reform der Elementarschulen ausschließlich auf die Schulen der jüdischen Gemeinden. An diesen war freilich eine - mit der Freischule vergleichbare - Umsetzung aufklärerischer jüdischer Erziehung nur sehr eingeschränkt möglich. Hinzu kam, dass die offizielle staatliche Volksschulpflicht nunmehr ohnehin die religiösen Bildungsinhalte betonte. Folgerichtig endete 1825 das Experiment der Freischule mit deren Umwandlung in eine jüdische Gemeindeschule. ...

Peter Fleck, in: Archiv für hessische Geschichte 62 (2004), S. 390-392.

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The editors of this new series of publications on the history of Jewish education in Germany have opened new avenues for research with a treasure trove of primary sources on the founding of the first modern Jewish school in Germany in 1778, the initiatives for Jewish educational reform, and the Prussian government´s policies on the schooling of the Jewish minority from 1760 to 1825. Ingrid Lohmann and her coeditors are pursuing two worthy goals in this series: to examine the history of the Jewish minority in relation to, and not apart from, the surrounding social and cultural world and to integrate it into the historiography of German education.

Marjorie Lamberti (Middlebury, Vermont), in: Zeitschrift für pädagogische Historiographie 9 (2003) 1, S. 3.

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Was auf den ersten Blick wie eine den Leser durch schiere Materialfülle und Gewicht erschlagende Faktenhuberei anmutet, entpuppt sich bei genauerem Studium als Fundgrube selbst für Kenner der Materie. Da die Freischule und ihr Verlag in der Berliner Haskala wichtig genommen wurden, erfahren wir unendlich viel mehr als für eine noch so mikrohistorische Schulstudie nötig wäre. Hier wird ein Quellenmaterial präsentiert, dessen Auswertung noch lange dauern wird und das neue Einsichten in das Funktionieren und auch das Innenleben der jüdischen Aufklärungsbewegung erlaubt. Allein ein Blick in das lange und hilfreiche Personenregister und in die Namenslisten der Bände macht evident, daß diese jüdische Aufklärung in Berlin nicht die Kopfgeburt einiger ehrgeiziger Intellektueller und Bankiersfamilien war, sondern eine breite innerjüdische Massenbewegung mit sofortiger Wirkung auf Hunderte von jungen Leuten. Wer zukünftig über Haskala und jüdische Pädagogik forscht, kommt um diese Quellensammlung nicht herum.

Christoph Schulte (Potsdam), in: Das Achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achzehnten Jahrhunderts 27 (2003) 1, S. 146.

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Beispielhaft führt hier die Quellensammlung zur "Jüdischen Bildungsgeschichte in Deutschland", bestückt aus 15 Archiven, vor Augen, wie durch unser Wissen von vorangegangenen "Dialogen" unser Verständnis für die Situation der in Deutschland aufwachsenden Juden erweitert und vertieft wird. [...] Der Lust an der Rezeption der 1250 eng bedruckte Seiten umfassenden Quellenwiedergabe wird [...] aufgeholfen durch die übersichtliche Gestaltung des Textes und der Nachweise sowie durch hilfreiche Register. Die Bedingungen für eine gewinnbringende Lektüre sind also optimal, so daß den beiden stabil gebundenen Bänden viele Leser zu wünschen sind, die sich in die vielschichtigen Probleme der Unterweisung jüdischer Kinder und Jugendlicher am Beginn der Moderne einführen lassen wollen.

Harald Scholtz, in: Paedagogica Historica. International Journal of the History of Education XXXIX (2003) n. I & II, S. 207-209.

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Das vorliegende Werk ist [...] eine höchst bedeutende Quellensammlung, deren Veröffentlichung sehr zu begrüßen ist, hat doch die Zusammenarbeit von Erziehungs- und Geschichtswissenschaft sowie Judaistik ein fruchtbares Ergebnis zustande gebracht, vor allem nachdem die wenigen Untersuchungen zum Erziehungswesen der jüdischen Minderheit im Übergang zur Moderne bis jetzt nur in hebräischer Sprache vorliegen. [...] Hervorzuheben ist schließlich, daß die ausgewählten Quellen meist ungekürzt dokumentiert wurden und teilweise auch das hebräische Original mitabgedruckt wurde.

Claudia Prestel (University of Leicester), in: VJS-[Vereinigung für Jüdische Studien] Nachrichten Nr. 7 (2003), S. 17-19.

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Nachdem die bisherige Schulgeschichtsschreibung das jüdische Schulwesen in Deutschland sträflich vernachlässigt hat, scheint nun ... das Gegenteil einzutreten: Zwei voluminöse Dokumentenbände über eine Lehranstalt, die nicht einmal ein halbes Jahrhundert überdauerte ... ist dieser Aufwand wirklich gerechtfertigt? Er ist es, denn ... [es] geht ... darum, an diesem Beispiel den jüdischen Beitrag zur Berliner Aufklärung zu dokumentieren und minutiös zu rekonstruieren, wie die preußische Schulverwaltung vor, während und nach der Humboldt´schen Bildungsreform auf die bildungspolitischen Emanzipationsbemühungen der jüdischen Minderheit reagiert hat. In einer lesenswerten Einleitung weist die Herausgeberin nachdrücklich darauf hin, wie wichtig das Edikt vom 11. März 1812 und wie widersprüchlich das preußische Verwaltungshandeln auf der Grundlage dieses Edikts gewesen ist. Die Dokumentation selbst umfasst mehr als 700 meist unveröffentlichte Texte..., darunter zahlreiche Denkschriften und Eingaben, Briefe und Berichte, Gutachten und Edikte, so dass bis hinein in den Schulalltag ein vielfältiges Abbild kontroverser Argumentations- und Entscheidungsprozesse entsteht. ... eine hervorragende wissenschaftliche, editorische und verlegerische Leistung...

Hans-Georg Herrlitz, in: Die Deutsche Schule 93 (2001) 3, S. 373f.

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Vorliegende Quellensammlung, die zugleich für einen wichtigen Teilbereich die archivalischen Grundlagen für die in dieser Zeitschrift ebenfalls besprochene Arbeit von Mordechai Eliav bietet, beruht auf einem von der Herausgeberin geleiteten und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Forschungsvorhaben an der Universität Hamburg über "Jüdische Dialogkultur und das Problem der Interkulturalität - historische Rekonstruktion am Beispiel der jüdischen Freischule in Berlin 1778-1825", das seinerseits in das DFG-Gruppenprojekt "Wandlungsprozesse im Judentum durch die Aufklärung" eingebunden wurde. Daß der Gründung und Entwicklung dieser Schule geradezu paradigmatische Bedeutung für die Wandlungen der jüdischen Gesellschaft in der Aufklärungs- und Emanzipationszeit zukam, wird durch die beiden einleitenden Kurzbeiträge Michael A. Meyers ("The Freischule as a Mirror of Attitudes") und Shmuel Feiners ("The Freischule an the Crossroads of the Seculaization Crisis i Jewish Society") unterstrichen. Noch mehr aber kann die außerordentlich umfangreiche und instruktive Einleitung der Herausgeberin ("Die jüdische Freischule in Berlin - eine bildungstheoretische und schulhistorische Analyse. Zur Einführung in die Quellensammlung", S. 14-84) deutlich machen, daß die Quellensammlung grundlegende Erziehungsdiskurse, Bildungskonzepte und Emanzipationsvorstellungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts transparent macht.

J. Friedrich Battenberg, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden Jg. 11 (2001) H. 1, S. 293-295, hier S. 293f.

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Die Edition [...] umfaßt formal alles, was sich ein Forscher- und Gelehrtenherz wünscht: Personen-, Orts-, Sach- und Literaturregister sowie Glossar sind gewissenhaft angelegt. [...] Die Hg. selbst hat es übernommen, in einer umfangreichen Einleitung von immerhin über 80 Seiten die Entwicklung der ´Modellschule´, um die sich alles rankt, nachzuzeichnen. Ihr Versuch, dies spannend nachzuzeichnen, ist ihr mit lockerer Souveränität gelungen. Dabei gelingt es ihr auch, die wechselvolle Schulgeschichte (mit Verweisen auf die abgedruckten Quellen) im Blick auf die innerjüdischen Auseinandersetzungen, preußischen Reformpläne und der Reaktion in die allgemeingesellschaftliche Entwicklung des Königreichs einzubetten.

Jörg Fehrs, in: Mitteilungen & Materialien. Zeitschrift für Museum und Bildung 56 (2001), S. 133

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Einzigartig und in einer Dichte dokumentiert, wie es sich Judaisten, Historiker und Erziehungswissenschaftler nicht reicher wünschen könnten, ist die Geschichte der Freischule nun Quelle um Quelle nachzulesen und zu interpretieren.

Margret Heitmann (Salomon-Ludwig-Steinheim Institut), in: Kalonymos 1 (2001), S. 8

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Die vorliegende zwibändige Quellensammlung enthält Dokumente zur Schulgeschichte, aber auch Materialien, die nicht nur das historische Umfeld der Freischule, sondern auch den Prozess der Modernisierung des Judentums im deutschsprachigen Raum um 1800 beleuchten. Die Herausgeberin hat Schulakteen, Autobiographien jüdischer Aufklärer, Programmschriften der Haskalah, Aktenstücke aus der Bildungsverwaltung des preußischen Staates, Zeitungsmeldungen, Schulbuchrezensionen u.a.m. gesichtet und einen Quellencorpus zusammengestellt, der auf mustergültige Art und Weise die Geschichte der Freischule bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1825 rekonstruiert.

Julius H. Schoeps (Moses-Mendelssohn-Zentrum, Potsdam), in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 53 (2001) 3, S. 274-277, hier S. 276.

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Doch hat die Freischule beträchtliche historische Bedeutung als Fokus jüdischer und nichtjüdischer Haltungen. Für die Juden repräsentierte sie die vielbestrittene Abkehr vom früheren Verständnis dessen, was jüdische Knaben zur Vorbereitung auf das jüdische Erwachsenenleben lernen mußten. Für die Nichtjuden warf sie die Frage nach der Zukunft von Juden und Judentum in der deutschen Gesellschaft auf. Die Haltungen, die Juden, preußische Regierung und nichtjüdische Pädagogen gegenüber der Freischule zum Ausdruck brachten, erweisen ihre Sicht auf das deutsche Judentum und seine Zukunft überhaupt.

Michael A. Meyer, Hebrew Union College, Cincinnati, USA, im Vorwort zum Band

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