Privatisierung des Bildungsbereichs.
Eigentum und Wertschöpfung in der Wissensgesellschaft
15.-17. Juni 2000, Universität Hamburg

Thema
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Ziel und Inhalt der Tagung sind empirische Bestandsaufnahmen und theoretische Analysen sowie Bewertungen der neueren Privatisierungstendenzen im Bildungssektor, vor allem im Bereich öffentlicher Schulen und Hochschulen.

Zu den einschlägigen Phänomenen gehören etwa das Sponsoring öffentlicher Bildungseinrichtungen, public private partnerships, die Einrichtung von corporate universities (zum Teil in Form der Anlagerung an traditionelle Fakultäten), aber auch das sich wandelnde Selbstverständnis öffentlicher Bildungseinrichtungen in Dienstleistungs- oder Service-Unternehmen. Oder es wird, wie im Fall der Universität Hamburg, der Vorschlag zur Umwandlung einer staatlichen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtung in eine Stiftung erwogen.

Für den öffentlichen Bildungssektor sind außerdem inzwischen Finanzierungsmodelle in der Diskussion, wie sie bislang schon aus der beruflichen Weiterbildung bekannt sind - Kostenpflichtigkeit, Gebühren, Bildungsgutscheine, Individualisierung der Ausbildungskosten sind hier die Stichworte. Hinzu kommt das wachsende Interesse der internationalen Finanzmärkte an Privatunternehmen, die das Management von Bildungsinstitutionen als Dienstleistung anbieten (education maintenance organizations), und kaum einer der weltweit führenden Konzerne läßt es sich nehmen, mit Ausbildungskonzepten, Unterrichtseinheiten oder Lernmitteln auf die Märkte zu drängen.

Gleichzeitig treten die bisherigen Akteure einer staatlich-öffentlichen Steuerung des Bildungsbereichs - Bundes- und Länderparlamente, Regierungen - in wachsendem Maße ihre Lenkungs- und Entwicklungskompetenzen an Konzern-Stiftungen (Bertelsmann, Siemens-Nixdorf) und an supranationale Organisationen (OECD, IWF, WTO, EU) ab. Deren Wirken ist jedoch in der Regel nicht mit den klassischerweise dafür vorgesehenen Mitteln bürgerlich-westlicher Demokratien kontrollierbar.

Kaum zu überschätzen ist daneben, welche Auswirkungen sich für Bildung und Wissenschaft mittel- und langfristig durch den zunehmenden Einsatz der neuen Medien ergeben. Die Konsequenzen der Informations- und Kommunikationstechnologien für die Entwicklungen im Bildungs- und Wissenschaftssystem, die zum Teil die Ökonomisierung dieser Bereiche erst ermöglichen, sind noch keineswegs ausgelotet.

Mit den so umrissenen Trends scheinen sich neue Qualitäten in den Beziehungen von Bildung und Ökonomie anzubahnen. Mit dem klassischen, der politischen Philosophie des Liberalismus entstammenden Bildungsbegriff war stets auch die Vorstellung einer relativen Eigenständigkeit oder gar Unabhängigkeit der Bildung von der Ökonomie impliziert. Dieses Modell scheint im vorwaltenden Politikverständnis konzeptionell und strategisch kaum noch eine Rolle zu spielen. Was aber tritt an seine Stelle? Hier ist nicht zuletzt zu fragen, wie die vorfindlichen Entwicklungen wirtschaftstheoretisch erfaßt werden können: Ist das, was wir vor uns sehen, die Umgestaltung von Bildung in kreditgetriebene Eigentumsoperationen mit Wissen als Ware? Handelt es sich um die Transformation der bisherigen "Bildung als Besitz" (kulturelles Kapital im Sinne Bourdieus) in "Wissen als Eigentum"? Und welche gestalterischen Optionen ergeben sich, die über den Modus eines neoliberalistischen Politikverständnisses hinausreichen? Wie lassen sich die Zugänge zu wissenschaftlichem Wissen offenhalten? Welche unternehmerischen Maximen und insbesondere: welche Eigentumsformen wären mit einem Bildungsverständnis kompatibel, das auf - ggf. neu zu definierende - Elemente einer Gemeinwesenorientierung rekurriert. Wird sich, um im alten Bild zu bleiben, der Bourgeois des Citoyen diesmal endgültig und im globalen Maßstab entledigen? Und schließlich: welche neuen sozialen Leitfiguren könnten im Zeitalter der Scheinselbständigkeit und der scheinbaren Demokratisierung des Kapitalistenstatus formuliert werden?

 

 


Website: Ingrid Lohmann. Zuletzt geändert am 4. April 2000.