Braucht Hochschulreform eine neue Hochschulform?

RHH-Diskussionsveranstaltung
mit Hans-Peter Bull, Peter Faulstich und Ingrid Lohmann
Moderation: Ingrid Gogolin
Veranstaltet von der Reformgruppe Hamburger Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer
am 29. Mai 2000, Universität Hamburg

 

Statement von Ingrid Lohmann                             

Ich möchte anhand zweier Beispiele Erfahrungen aus den USA skizzieren, die die Richtung dessen erkennbar machen, was gegenwärtig von interessierter Seite als "Reform" der Hochschulen propagiert wird.

1.

Kürzlich stellten Mitglieder der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Berkeley in Kalifornien die Ergebnisse einer soeben abgeschlossenen Untersuchung vor. Gegenstand war das umstrittene Abkommen zwischen der Universität und dem Schweizer Pharmakonzern Novartis (vormals Sandoz), das im November 1998 geschlossen worden war. Novartis ist einer der weltweit führenden Hersteller pharmazeutischer Produkte und genetisch veränderter Nutzpflanzen.

Gemäß dem Abkommen erhält das Department für Pflanzen und Mikrobiologie 25 Millionen Dollar Forschungsmittel. Im Gegenzug gewährt die Universität dem Konzern das Erstrecht zum Erwerb von Lizenzen über ein Drittel der vom Department gemachten Entdeckungen - und zwar einschließlich jener, die auf der Basis öffentlicher Gelder zustandegekommen sind. Ferner beinhaltet die Vereinbarung, daß Novartis zwei von fünf Sitzen im Forschungskomitee des Departments hält, welches über die Vergabe der Mittel entscheidet.

Daß Universitäten von Privatunternehmen unterstützt werden, ist in den USA nicht gerade unüblich. Daß jedoch ein einziger Konzern ein Drittel des Forschungsetats der gesamten Abteilung einer öffentlichen Universität liefert und kontrolliert, hat dann doch zu einigem Aufruhr geführt. Kurz nach dem Vertragsschluß gründete sich die Initiative Students for Responsible Research; sie brandmarkt das Abkommen als "in direktem Gegensatz zu unserer Aufgabe als einer öffentlichen Universität" stehend (zit.n. Press, Washburn).

Die (nicht sonderlich kritische) Studierendenzeitung Daily Californian veröffentlichte eine Artikelserie über die Privatisierung der Universitäten, und eine Gruppe öffentlicher Repräsentanten formulierte in einem offenen Brief an den Präsidenten der Universität, Robert Berdahl, daß die Allianz mit dem Pharmakonzern eine akademische Institution disqualifiziere, die bisher im besten Ruf wissenschaftlich objektiver Forschung gestanden habe. Vom Dekan erging unterdessen die Aufforderung ans wissenschaftliche Personal, gegenüber der Presse Stillschweigen zu bewahren und alle Anfragen ans Pressebüro zu verweisen - eine Art Maulkorberlaß.

Das Department selbst ist über die Vereinbarung mit Novartis tief gespalten; 41% des Personals akzeptieren sie, aber mehr als 50% sind der Auffassung, daß sie erhebliche Negativauswirkungen auf die Freiheit der Forschung hat und die Verpflichtung der Universität zu Gemeinwohl-orientierter Forschung untergräbt. Mehr als 60% fürchten, daß das Abkommen den freien Austausch und die Diskussion wissenschaftlicher Forschungsergebnisse behindert.

Ein Mikrobiologe, der selbst vorher bei Novartis tätig war, beschreibt die Folgen des Abkommens so: "Die meisten, die mich nach Berkeley geholt haben, und meine engsten Kollegen sind Mitglieder der Abteilung für Pflanzen und Mikrobiologie. Jetzt ist es so, daß möglicherweise alles, was ich ihnen sage, Novartis hinterbracht wird. Also spreche ich nicht mehr mit ihnen. Wenn ich eine gute Idee habe, behalte ich sie für mich." (zit.n. Press, Washburn)

Der Dekan des College of Natural Resources, zu dem die Abteilung für Mikrobiologie gehört, sieht das ganz anders; er argumentiert: "Ohne moderne Laboreinrichtungen und den Zugang zu kommerziell entwickelten Datenbanken... können wir weder erstklassige Graduiertenausbildung noch die Grundlagenforschung gewährleisten, die zu den Aufgaben der Universität gehört." (ebd.)

In der Tat ist der Anteil der staatlichen Zuwendungen am Gesamtbudget der Universität Berkeley in den letzten 12 Jahren von 50 auf 34 Prozent gesunken. Im Gegenzug drängen private Sponsoren in die Hochschulfinanzierung. Ihr Anteil an der Finanzierung der kalifornischen Universitäten ist zwischen 1985 und 1995 von 850 Millionen auf 4,25 Milliarden USD gestiegen. Und immer häufiger sind damit Bedingungen verknüpft: z.B. Stiftungsprofessuren, die Teile des Lehrdeputats in der Weiterbildung von Angestellten der geldmittelgebenden Wirtschaftsunternehmen erbringen müssen.

Den Anfang dieser Entwicklung machte 1980 der Bayh-Dole Act. Dieses Gesetz eröffnete den US-Universitäten erstmals die Möglichkeit, Erfindungen aus öffentlich finanzierter Forschung zum Patent anzumelden. Der Bayh-Dole Act war im amerikanischen Kongreß von Anfang an umstritten; Kritiker wenden ein, daß die Vergabe der Rechte aus öffentlich finanzierter Forschung an Konzerne den Ausverkauf der Wissenschaft bedeute. Befürworter hingegen loben das Gesetz als visionäres Beispiel vorbildlicher Industriepolitik im Informationszeitalter.

Parallel zur Steigerung der privaten Finanzierung der Forschung ist zwischen 1980 und 1998 die Zahl der von Universitäten produzierten Patente von 250 auf 4.800 pro Jahr gestiegen. Diese Zahl beziffert aber eben nicht nur die wachsende Profitabilität universitärer Wissenschaft. Sie beziffert vielmehr auch das Ausmaß, in welchem universitäre Wissenschaft in ihrer Bildungsaufgabe ebenso wie in ihren akademischen Standards und Idealen in den USA inzwischen unter die Profitwirtschaft subsummiert ist. Nicht wenige ProfessorInnen besitzen heute Aktien ebender Konzerne, die ihnen ihre Forschungen finanzieren; und sie betreiben Technologietransfer-Büros, über die sie ihr geistiges Eigentum nicht weniger aggressiv vermarkten als Wirtschaftsunternehmen.

Auch die Hamburger Hochschulen haben sich mittlerweile mit anderen Forschungseinrichtungen in einem Patentierungsverbund zusammengeschlossen und im Dezember 1999, in Verbindung mit der Handelskammer Hamburg, den "Hamburger Verbund zur Verwertung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen" gegründet; Kern des Verbunds ist eine "VerwertungsAG", die Patentierung und Lizenzierung steuert.

Änderungen der Hochschulverfassung, die heute in Deutschland betrieben werden, zielen - wie die Hamburger Wissenschaftssenatorin kürzlich ungewollt noch einmal deutlich gemacht hat - auf nichts anderes als die beschleunigte Transformation der Universitäten in verlängerte Werkbänke der Profitwirtschaft nach US-Vorbild.

Eben darin sieht der Osnabrücker Rechtssoziologe Martin Bennhold übrigens auch die Funktion des von der Bertelsmann-Stiftung gegründeten Centrums für Hochschulentwicklung (CHE): in der Übernahme von Zuständigkeitsbereichen öffentlicher Kontrolle durch das große Kapital und seine Funktionäre.

2.

Die Kommerzialisierung krempelt nicht nur die universitäre Forschungslandschaft im Hi-Tech-Bereich um, sondern betrifft zunehmend und unmittelbar auch Lehre und Ausbildung.

Mittlerweile kommt es an US-Universitäten zu massiven Interessengegensätzen zwischen Leitung und akademischem Personal, und zwar anläßlich der IuK-Technologien. Es geht um die Verwarenförmigung universitärer Lehre. Sie wird von Technologieunternehmen massiv betrieben, die an staatlicher Unterstützung ihres Forschungsbedarfs und lukrativer Vermarktung ihrer Produkte im Lehr-/Lernmittelbereich interessiert sind.

Bevor aber Universitäten dazu übergehen können, mit Industrieunternehmen über Lizenzvergabe zu verhandeln, müssen sie sich das Eigentum an den Patenten sichern, die vom akademischen Forschungspersonal erworben worden sind. Denn individuelle Erfinder - und nicht Institutionen - sind Inhaber von Patenten. Getroffen werden von US-Universitätsleitungen daher zunächst ad-hoc-Arrangements mit einzelnen ProfessorInnen, denen im Austausch für die Patentrechte ein Teil der Einkünfte aus deren Vermarktung abgetreten wird.

Inzwischen ist daraus längst eine Vertragspolitik nach dem Vorbild der Privatindustrie geworden: WissenschaftlerInnen werden vertraglich dazu verpflichtet, die von ihnen erworbenen Patentrechte den Universitäten, bei denen sie angestellt sind, zu überlassen. Entsprechende Verzichtserklärungen sind inzwischen gängige Einstellungsvoraussetzung.

Gleichzeitig ist eine Tendenz der Konversion unmittelbarer, personaler Lehr-/Lernformen hin zur Produktorientierung - in Form von CD-roms, Websites, Online-Kurse - zu verzeichnen. Die daran geknüpften Vermarktungsinteressen bringen weitreichende Formveränderungen - Kritikern zufolge eine nicht wiedergutzumachende Korruption – der universitären Lehre mit sich.

Außer in Fällen, in denen für die Materialentwicklung in außergewöhnlichem Umfang universitäre Ressourcen genutzt wurden, sind traditionellerweise die WissenschaftlerInnen selbst EigentümerInnen der von ihnen entwickelten Kursmaterialien. Inzwischen usurpieren die Leitungen US-amerikanischer Universitäten diese Rechte systematisch, um selber auf dem explodierenden Markt der Online-Instruction Kapital zu machen. (Sie verstoßen dabei gegen geltendes Recht, und US-Gerichte sind zur Zeit mit entsprechenden Prozessen befaßt.)

Kritiker konstatieren, daß ehedem so arkane Angelegenheiten wie Copyright und geistiges Eigentum heute zu jenen Themen auf dem Campus gehören, die am meisten Sprengstoff enthalten. Genau hier liegt ihrer Einschätzung nach die Kampflinie des künftigen Schlachtfelds namens universitäre Ausbildung: zwischen pädagogischen und wissenschaftlichen Standards einerseits und dem schnellen Profit andererseits.

Es gibt mittlerweile Verträge zwischen UCLA und The Home Education Network (THEN), zwischen UC Berkeley und AOL, zwischen der University of Colorado und Real Education. Sie betreffen zunächst meistens Erweiterungs- oder Zusatzprogramme im Bereich der Lehre. Die Verträge setzen also nicht gleich im Herzen der universitären Ausbildungsfunktionen an; vielmehr soll allmählich Akzeptanz hergestellt und erst einmal das Terrain sondiert werden. Alle genannten Verträge wurden übrigens geschlossen, ohne daß die betroffenen Fakultäten vorher gefragt worden wären, geschweige denn, daß sie ihre Zustimmung gegeben hätten.

Man darf demnach gespannt sein, in welcher Weise Dekane und Präsidenten deutscher Hochschulen von ihren gewachsenen Alleinentscheidungsrechten über Budgets und Vertragsabschlüsse inskünftig Gebrauch machen.

Meine These lautet, zusammengefaßt:
Wenn derzeit eine andere Hochschulform eingeführt würde, dann hätte dies kaum andere Effekte als diesen: die bereits stattfindende Transformation auch der deutschen Universitäten zu Dienstleistungsunternehmen der privaten Wirtschaft zu intensivieren und zu beschleunigen. Dazu gehört vor allem, die Kontrolle über die Standards von Wissenschaft dieser selbst aus den Händen zu nehmen und sie z.B. Hochschulbeiräten - den vielgeforderten "externen Sachverständigen" - zu übertragen.

Vor diesem Hintergrund ist es so wichtig, Institutionen wie der Bertelsmann Stiftung, ihrem Centrum für Hochschulentwicklung und in Hamburg nicht zuletzt dem Projekt Universitätsentwicklung auf die Finger zu schauen.

*

In seiner Frankfurter Universitätsrede im Juni dieses Jahres appellierte Jacques Derrida an die klassischen Tugenden der Dissidenz und des bürgerlichen Ungehorsams bei der Suche nach einer neuen Idee der Universität. Heute, am Ende der Arbeitsgesellschaft und Beginn der Weltgesellschaft würden immer mehr Bevölkerungsteile von der Arbeit ausgeschlossen: "Noch nie in der Geschichte war die Lage des Kapitalismus, in absoluten Zahlen genommen, so tragisch." Nötig seien eine Erneuerung der geisteswissenschaftlichen Forschung, historische und systematische Analysen zur Arbeit, aber auch eine Haltung des Widerstands gegen das Kapital, die Medien, Ideologien, Religionen, gegen alle Mächte, die die Demokratie begrenzen. Niemals dürften die Universitäten zu Geiseln der Sponsoren werden.


Quellen:
Bennhold, Martin: "Private Berater" - Private Weichensteller mit Medien- und Konzerninteressen. Vortrag auf dem Seminar Wissenschaft und Macht, veranstaltet von BdWi und Heinrich-Böll-Stiftung NW, 22.-24. Januar 1999 an der Universität Münster.
Jäger, Lorenz: Als ob. Jacques Derrida in Frankfurt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 145, 26. Juni 2000, 49.
Miyoshi, Masao: Der versilberte Elfenbeinturm. Gloabe Wissensindustrie, akademischer Kapitalismus. In: Lettre International, Heft 48 (2000), 70-80.
Noble, David: Digital Diploma Mills, Part II. The Coming Battle over Online Instruction (März 1998)
Press, Eyal & Jennifer Washburn: The Kept University. In: The Atlantic Monthly, March 2000.

uni hh: Forschung soll besser vermarktet werden. In: uni-hh 31. Jg. (April 2000) Nr.2, 15.


website: IL. Letzte Änderung: 30. Juni 2000