Ingrid Lohmann

Das Maelstrom-Projekt. Schulen und private Sponsoren -
Was spricht gegen public-private-partnerships?

  Print-Versionen dieses Artikels sind erschienen in den Zeitschriften
Computer + Unterricht Heft
32 (1998), 50-52 sowie (gekürzt) in Pädagogik Jg. 51 (1999) Heft 1, 53.

Ja, in der Tat: Was sollte gegen die privatwirtschaftliche Förderung von Bildungseinrichtungen sprechen in Zeiten leerer öffentlicher Kassen? Wenn die Sponsoren doch honorig sind und alle Vereinbarungen beiderseits nur zum Vorteil gereichen? Wenn doch gar kein Einfluß auf die Bildungsprozesse genommen wird, sondern nur Angebote gemacht werden, gegen die man wirklich nichts haben kann? Liegen darin nicht auch Chancen? Sollten hier nicht verschiedene Modelle unvoreingenommen geprüft und durchaus auch erprobt werden?

Die kurze Antwort gilt seit je: Wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird. Die ausführlichere beginnt mit der Feststellung: Ein Sponsor ist erstens "a person who takes the responsibility for some other person or a thing"; ist zweitens, nomen est omen, ein Pate, "godparent"; ist drittens "a person or an organization that pays for plans and carries out a project or activity", insbesondere "in return for limited advertising time". Die www-Recherche mit AltaVista in deutschsprachigen Dokumenten zum Stichwort "public-private-partnership" + Schule ergab in der 25. Woche des Jahres 1998 137.172 matches, in der 26. Woche 141.981. Das entspricht einer Steigerung um 4.809 matches oder knapp 3 Prozent. In einer Woche.

Meine erste These lautet: Public-private-partnerships sind der maelstrom, der die Beziehungen von Bildung und Ökonomie aus der Moderne in die Postmoderne überführt. Sie bezeichnen den Trend, der in der kommenden schulgeschichtlichen Epoche zum mainstream geworden sein wird.

In der Moderne sind die öffentlichen allgemeinen Bildungseinrichtungen in einem nationalstaatlichen Zusammenhang von Ökonomie und Politik, Wirtschaft und Kultur, Privatem und Öffentlichem situiert. Sie dienen der Heranbildung des citoyen, des Staatsbürgers, der dem öffentlichen Gemeinwesen seines Landes verpflichtet ist. Selbst ihrer eigenen Ideologie nach existiert und funktioniert die Moderne nur solange, wie nationalstaatlich verfaßte Öffentlichkeiten im Prinzip in der Lage sind, als solche zu wirken, d.h. ihre eigene andere Seite, den bourgeois, im Zaum zu halten, Wirtschaftsprozesse zu regulieren, Kontrolle auszuüben, in einen Streit über Werte einzutreten, Entscheidungen herbeizuführen, die mehrheitsfähig sind. Das Konzept hält stand, solange öffentliche Akteure - wie das pädagogische Personal einer Schule - aufgrund staatlicher Alimentierung unabhängig und durch hinreichend bedeutsame Beziehungen zu anderen Segmenten der öffentlichen Sphäre einflußreich genug sind, um Mißstände anzuprangern, Übergriffe in ihren Bereich zu verhindern, Einflußnahmen von außen erfolgreich abzuwehren. Es hält stand, solange die staatlichen und öffentlichen Akteure nicht korrupt sind.

Wenn hingegen der bourgeois den nationalstaatlichen Rahmen hinter sich läßt und global operiert, dann ist er den - nolens volens nationalstaatlichen - Kontrollmechanismen des citoyen entzogen. Die bürgerliche Demokratie tritt dann, auch ihrer eigenen Ideologie nach, außer Kraft. Public-private-partnerships sind der neoliberalistische Vorgriff auf Abkommen wie das Multilateral Agreement on Investment für das Bildungswesen. Sie sind der Anfang vom Ende der öffentlichen allgemeinen Schulen und Universitäten.

Wie sehen public-private-partnerships aus? Nehmen wir das Beispiel des Michaeli-Gymnasiums in München, "kurz MGM", "das erste Gymnasium im Münchner Osten, als es 1969 gegründet wurde". Besonderheiten: Computernetzwerk im ganzen Haus, Server, Internetanbindung, Wahlunterricht Multimedia, begonnene Umstrukturierung der Bibliothek "hin zur modernen multimedialen Infothek". Seine Sponsoren, zunächst die privaten: Siemens-Nixdorf München: Hardware, Software, langjährige Partnerschaft. Burda Verlag: Focus, München: Software. 3COM München: Hubs, PC-LAN-Karten. European Computer Research Center - ECRC, München: Internet Connectivity. Gecap, München: Software. Hanseatische Investitionsbank GmbH - Hanseatische Leasing GmbH, Hamburg: Hardware, Software. Ernst Klett Schulbuchverlag, Stuttgart: Lernsoftware. Media-Design-Akademie, München: Beratung. Microsoft, Unterschleißheim: Software. MultiNET-Services, Grasbrunn: Planung, Consulting, Service. SUN Deutschland, Grasbrunn: UNIX-Server-Workstation. Tele processing systems - tps, Cadolzburg: ISDN-Router. Ferner: Schulen ans Netz e.V., Berlin: ISDN-Internet-Software. Förderverein sowie Elternbeirat des Michaeli-Gymnasiums: Finanzielle Förderung. Die staatlichen Träger: Landeshauptstadt München: Hardware, Software, Beratung. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst: laufende Kosten.

Oder nehmen wir Hessens Initiative "Schule 2010". Sie stattet Schulen "mit Computern aus" und "fördert einen aktiven Dialog" mithilfe der Hessen-Online-Partner-Schul-, kurz: HOPS-Clubs, und wird "bisher" unterstützt von: Altana AG. Frankfurter Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft. Bachert Datentechnik GmbH. Deutsche Bank, Filiale Frankfurt. DFS Deutsche Flugsicherung GmbH. Degussa AG. 4-Sale. Dresdner Bank AG Kommunikation Region Rhein-Main. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH. Institut Danone für Ernährung e.V. ITT Automotive Europe GmbH. Johnson Controls Lahnwerk GmbH & Co. KG. Metallgesellschaft AG. NVV Verkehrsverbund und Fördergesellschaft Nordhessen mbH. Hit Radio FFH. RMV Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH. Siemens AG, Zweigniederlassung Frankfurt. Sierra Coktel Deutschland GmbH. Sunset Boulevard RMT Theater Produktions GmbH. Techem Aktiengesellschaft & Co. - "Demnächst", so wird angekündigt, "werden wir unsere Sponsoren ausgiebig vorstellen mit Porträts, Infos zu Ausbildungsplätzen, Praktikumsangeboten und vielem mehr."

Träger der Initiative: Die hessischen Handwerkskammern. Die Industrie- und Handelskammern. Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände. Sowie: Die Staatskanzlei. Das Hessische Kultusministerium. Das Hessische Wirtschaftsministerium. Die Technologiestiftung Hessen. Das Hessische Institut für Bildung und Schulentwicklung. Letzte Zweifel an der Unbedenklichkeit beseitigen die Namen jener Repräsentanten des öffentlichen Lebens, die am 11.11. 1997 "den ersten Wettbewerb zur Vergabe von rund 110 Rechnern an Hessens Schulen" eröffneten: Dr. Wolfgang Lindstaedt, IHK Frankfurt. Lothar Klemm, Wirtschaftsminister. Hartmut Holzapfel, Kultusminister. Anton Graf Magnis, VhU. Und ganze 110 Rechner. - Ziel des Unternehmens ist es, durch die "Technologiepartnerschaft Schule und Computer" - ein Partnerprojekt hessischer Unternehmer und der Landesregierung - eine Gleichung herbeizuführen: "Schule der Zukunft" = "Zukunft des Standorts". Denn: Die Unterstützung der HOPS-Clubs ist "keine Einbahnstraße". Die Clubs "agieren in einem Raum hoher Kommunikationsdichte", sind im "ständigen Dialog mit ihren Mitgliedern" durch: "Nennung Ihrer Firmenadresse in den Club-Medien", "Zugang zu den Zielgruppen an den Schulen", "Imagegewinn und Standort-Bezug", "Betonung des gesellschaftlichen Engagements Ihres Unternehmens", "Kontakt zum Nachwuchs".

Wer dürfte sich da entziehen. Auch wenn die Auflistung aus nur zwei Beispielen schon so auf die Nerven geht wie die am unteren Bildschirmrand fortlaufende Mitteilung der Aktienkurse bei ntv. Und wer wollte bei solchen Allianzen noch an die Idee der balance of power denken; beklagen, daß hier das Prinzip der Gewaltenteilung gröblich verletzt ist, welches bürgerliche Demokratien vom Typ der Moderne, der Ideologie nach, kennzeichnet; beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichen - wegen Aufgabe materieller und ideeller Unabhängigkeit einer Schule? Und ja, es sind hausgemachte Beispiele: Der Fall des Neunzehnjährigen, der von der Schule verwiesen wurde, weil er am Coca-Cola-Tag seiner Schule aus Daffke ein Pepsi-Cola-Hemd getragen hat, der Fall stammt aus Texas, USA. Die ausgedehnte Praxis der Förderung privatunternehmerischen Sponsorings von Bildungseinrichtungen nach US-Vorbild durch den Berliner Senat war bloß der Anlaß, darüber zu berichten (unterm siebten von 278 matches bei Eingabe von "public-private-partnership" + Schule + Bertelsmann-Stiftung).

Die beiden Beispiele legen offen, worum es bei allen anderen auch geht, wenn man einmal alles beiseite läßt, was es über den Spätkapitalismus in seiner inzwischen allzuvertrauten Gestalt sonst noch zu sagen gibt: nämlich - in der simplistischen Weltsicht der HOPS-Club TOPCOM GmbH mit Sitz in Liederbach - "Computer so schnell wie möglich in den Schulen heimisch werden zu lassen." Denn: "In der Arbeitswelt sind die neuen Technologien schon Routine. Computer sind im Büro selbstverständlich und unterstützen immer häufiger die Produktion. Hier hat die Wirtschaft einen Entwicklungsvorsprung, den wir für die Schulen nutzbar machen wollen." - Man möchte die Initiative des Vereins unterstützen? Der Vorschlag: "Sie haben Computer in Ihrer Firma, die demnächst ersetzt werden sollen. Spenden Sie die gebrauchten Geräte an eine Schule!" "Sie verfügen in Ihrem Unternehmen über EDV-Trainingsräume und EDV-Spezialisten. Stellen Sie an bestimmten Tagen Nutzungszeiten für den HOPS-Club der Schule vor Ort zur Verfügung oder 'leihen' Sie Ihren EDV-Spezialisten stundenweise dem örtlichen HOPS-Club!" "Spenden Sie Produkte oder gewähren Sie Preisnachlässe auf Hard- oder Software!" "Werden Sie... Fördermitglied des Vereins!"

Angesichts solchen unternehmerischen Elans klingt es geradezu kleinkariert, darauf hinzuweisen, daß für Schulen vielleicht ganz andere Konfigurationen nötig sind; daß EDV-Spezialisten die letzten sind, die man als Didaktiker bemühen würde; daß man es satt hat, immer mit den langsameren Modellen oder den imgrunde schrottreifen Maschinen zu arbeiten. Daß man Lehrer geworden ist, um zu unterrichten, und nicht, um Finanzmittel zu akquirieren und Sponsoren mit 'vorzeigbaren Ergebnissen' zufriedenzustellen.

Inzwischen haben nicht wenige schon die passende Idee: Wozu sich mit dem Lehramt und seinen Engführungen abgeben; sie machen stattdessen ihren M.A. in (oder verstehen sonstwoher genügend von) Informatik, Betriebswirtschaft und Erziehungswissenschaft, eröffnen in einem von den global players bislang vernachlässigten Segment ihre eigene Firma für Unternehmensberatung und bieten kostenpflichtige und steuerbegünstigte Weiterbildungskurse an.

Der gesamte Vorgang läßt sich auf eine Formel bringen: Der bourgeois ist dabei, sich des citoyen zu entledigen. Und alle finden es super! Innovativ! Unabhängig! Endlich frei!! - Fast alle, jedenfalls. Zu den Ausnahmen zählt der US-amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber mit seiner These, daß Regieren out ist und Gier in. Daß Privatisierung nicht die Begrenzung von Regierungsgewalt darstellt, sondern die Beendigung der Demokratie: "private Raffgier, die als öffentliche Philosophie paradiert".

Zweite These: Das private sponsoring von Schulen ist das wirtschafts-, finanz- und bildungspolitische Instrument für die neoliberalistische Implementation der sogenannten Informationsgesellschaft im Bildungsbereich.

Alles, was nicht auf 'Informationsgesellschaft' einschließlich ihrer Akzeptanz zielt, fliegt raus. Man stelle sich vor: Ihre Schule liegt weitab von jedem Technologiepark; Sie sind an einer Sonderschule tätig; Ihre Liebe gilt einem Unterricht in klassischer Literatur, den ihre SchülerInnen schätzen, obwohl (oder gerade weil) er eher konventionell gestaltet ist; Sie möchten Ihr zusammen mit SchülerInnen entwickeltes Konzept für einen besseren Geschichtsunterricht erproben, haben aber überhaupt keine Lust, es obendrein noch werbewirksam zu präsentieren; Sie entwickeln mit Ihren SchülerInnen eine Datenbank unter dem Arbeitstitel "CriticalInquiryXL", in welcher schon frühzeitig links zum M.A.I.-Entwurf und der internationalen Kritik daran versammelt waren. - Probleme bekommen Sie mit alledem nicht von heute auf morgen. Aber allmählich werden Sie an den Rand gedrängt. Und wenn Sie, im letztgenannten Fall, für neue Maschinen, updates und Reparaturen kein Geld auftreiben können, nützen Ihnen nicht einmal mehr die Schlupflöcher, die die Technologie der vernetzten Computerei immer wieder bietet, der Zensur zu entgehen.

Dabei machen die neugeschaffenen Regularien - Trägerschaft der "Netzwerke innovativer Schulen" durch eingetragene Vereine; Gemeinnützigkeit und steuerliche Begünstigung von Spenden; 'Qualitätskontrolle' der Inhalte von Intranets (ggf. zu ergänzen um Verbot oder, besser noch, finanzielle Aushöhlung von CIXL) u.a.m. - deutlich, daß hier neben die vielbeschworene Deregulierung, das Mittel der Wahl für die Beseitigung letzter Schranken der 'freien Marktwirtschaft', durchaus Regulierung tritt. Da nämlich, wo die Allianz aus Wirtschaft und Staat diese will. Während für die Fälle, wo sie sie nicht will, auf den Sog der Globalisierung verwiesen wird, dem man sich nicht entziehen könne: "Deregulierungsrhetorik", wie Felhölter dies zutreffend nennt.

Dritte These: Privates sponsoring von öffentlichen Schulen hebelt die bürgerliche Demokratie vom Typus der Moderne aus. Bei Licht besehen, fangen die Übergriffe in das, was ehedem als relative Autonomie von Schule imaginiert worden ist, an, wenn Elternvertreter infolge entsprechender staatlicher Erlasse in den Konferenzen des pädagogischen Personals sitzen.

Natürlich kann man dies alles auch gelassen sehen und darauf verweisen, daß jenes Demokratiemodell ohnehin zu wünschen übrig ließ - und das gilt, weiß Gott, für die deutsche Geschichte.

Um es abzuschließen: Privates sponsoring ist kein akzeptables Modell, wenn man es nicht mit spendenfreudigen schlichten 'Privatleuten', sondern mit Banken und Wirtschaftsunternehmen zu tun hat. Und wenn gleichzeitig Bundes- und Landesregierungen sich darin überschlagen, aus der (Bildungs-) Politik auszusteigen, um den global players das Feld zu überlassen. Es kann ein vielversprechender Beitrag zur Schulreform werden, sobald die Mittel und Mechanismen vorhanden sind, private Sponsoren auch auf supranationaler Ebene (europäisches Parlament, NGO's, UN etc.) wirksam zu kontrollieren.


Website: Ingrid Lohmann; letzte Änderung: 08.09. 2020