Kurzvortrag im Rahmen des Hearings "Bildung ist keine Ware – Privat ist Profit / Öffentlich nutzt allen – Keine Privatisierung von Schulen!" des PDS-Landesverbands Hamburg, Arbeitsgemeinschaft Bildungspolitik, Montag, 9.12. 2002, Wirtschaftsgymnasium St. Pauli, Budapester Str. 58. Moderation: Kay Beiderwieden, Uli Ludwig

Ingrid Lohmann

Anmerkungen über Bildungspolitik
Internationale Erfahrungen - GATS

Ich bin gebeten worden, etwas zu den internationalen Erfahrungen mit Privatisierung im Bildungsbereich zu sagen. Und tatsächlich sind auch die Privatisierungspläne des Hamburger Senats und der Handels- und Handwerkskammern, die jetzt die Berufsschulen betreffen, nicht etwa auf lokalem Mist gewachsen.

Das Erschreckendste an der momentanen Privatisierungswelle ist, daß unsere zuständigen BildungspolitikerInnen, gleich welcher parteipolitischen Couleur, so gut wie keine Vorstellung davon haben, in welchem Kontext sie sich mit ihren Privatisierungsplänen befinden. Ganz offensichtlich sitzen viel zu viele sozialdemokratische, konservative sowie liberale und übrigens auch PDS-BildungspolitikerInnen den neoliberalistischen Füllwörtern auf, die den gegenwärtigen bildungs- und wirtschaftpolitischen Diskurs beherrschen: Eigenverantwortung, Autonomie, Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit, Gerechtigkeit womöglich. Sie lassen sich damit von der ideologischen Verpackung der Privatisierungspläne blenden, die ganz woanders ausgeheckt worden sind und die auch ganz andere als die deklarierten Ziele verfolgen, nämlich die Steigerung und die Konzentration von Macht und Profit.

Die Anfänge der WTO (Welthandelsorganisation) liegen in den 1970er Jahren in den USA. Damals begannen internationale Unternehmen der Finanzdienstleistung, und zwar die American International Group (AIG), American Express und Citigroup, sich in der US Coalition of Service Industries (USCSI) zusammenzuschließen. Sie wollten die außerhalb der USA gelegenen Finanzmärkte, die damals von den jeweiligen Nationalstaaten noch stark reguliert waren, unter ihre Kontrolle bringen. Dazu erschien der Einbezug von Handel mit Dienstleistungen in das General Agreement on Tariffs and Trade, GATT – dem Vorläufer der WTO – als geeignetes Mittel; und auf Initiative der genannten drei, also American Express, AIG und Citigroup, wurde die Globalisierung der internationalen Finanzmärkte unter US-Hegemonie ab den 1980er Jahren von der USCSI schließlich erfolgreich ins Werk gesetzt (vgl. Eric Wesselius, Transnational Institute, http://www.tni.org/reports/wto/wto4.pdf).

Inzwischen gehören der 1994/95 als GATT-Nachfolgerin gegründeten WTO 143 Mitgliedsländer an. Nicht dazu gehören z.B. die GUS-Länder und die meisten arabischen und islamischen Staaten, darunter Iran, Irak, Lybien, Sudan usw., und natürlich Kuba. Ich will das hier nicht weiter vertiefen, sondern nur andeuten, in welchem Feld wir uns befinden.

Nützlich ist auch, sich vor Augen zu führen, was Unternehmen der Finanzdienstleistung eigentlich wollen, womit sie wirtschaften: und das ist natürlich Geld, das sind finanzielle Transaktionen, so daß diejenigen, die sich bei ihnen Geld leihen, mehr Geld dafür zurückzahlen müssen. Die Formel, um die es geht, ist Umwandlung von allem, was noch nicht kapital- und warenförmig ist, in Waren- und Kapitalförmigkeit, also in Gläubiger-/ Schuldnerbeziehungen, in Eigentumsoperationen.

Noch wenig kapital- und warenförmig sind weltweit die öffentlichen Sektoren der Nationalstaaten: Gesundheits-, Trinkwasser- und Energieversorgung, soziale Sicherungs- und Bildungssysteme. Das ist die Ebene, auf der die WTO agiert. Ihre Agenda ist die Verwarenförmigung – sprich: Privatisierung, Kommerzialisierung, Verbetriebswirtschaftlichung – des öffentlichen Sektors, weltweit. An der Reihe sind jetzt – unter anderem – die nationalstaatlichen öffentlichen Bildungssysteme.

Im Hochschulbereich ist der Einbezug in das Handelsregime der WTO schon spürbar. Hier einige Beispiele: Beim Studium zum MBA (Master of Business Administration) etwa ist vor der Aufnahmeprüfung das Bestehen des Graduate Management Admission Test (GMAT) erforderlich, d.i. ein 4-stündiger, standardisierter Test in englischer Sprache, der weltweit vom Education Testing Service (ETS) angeboten wird. Er ist eine zwingende Zulassungsvoraussetzung für die MBA-Programme an den international anerkannten Business Schools.

Das weltweite Monopol für die Durchführung dieses Tests hat das US-amerikanische Unternehmen Sylvan Learning Systems (SLS/ CITO, auch Prometric), ein Bildungsdienstleister, an den z.B. die FH Pforzheim ihre Studieninteressenten verweist. Die meisten dieser Tests können nur an den "jeweiligen Testzentren absolviert werden. [...] Die Testanmeldung erfolgt für Europa ausschließlich über die Sylvan Learning Systems." (FH Pforzheim o.J. [3/2002])

 

Markenmonopole im Hochschulbereich

CITO/ Sylvan Learning Systems/ Prometric Gruppe

Firmensitz: Baltimore, Maryland.
Regionales Zentrum für Europa: Arnheim, NL
Testzentren in Deutschland:
Berlin, Frankfurt a.M., Hamburg, München

TOEFL®

Test of English as a Foreign Language

ETS®

Educational Testing Service

GMAT®

Graduate Management Admission Test

GRE®

Graduate Record Examination (General Test, fachspezifische Tests)

PRAXIS

The Praxis Series: Professional Assessments for Beginning Teachers ®

LSAT®

Law School Admission Test

SAT ®

School Admission Test I: Reasoning Test

School Admission Test II: Subject Tests

SLS hat einen Spitzenplatz beim branding im Bereich der higher education inne, denn auch wer z.B. mithilfe des Akademischen Auslandsamts einer deutschen Universität oder des DAAD ein Studium in Kanada oder den USA aufnehmen will, muß den TOEFL-Test bestehen, und Sylvan Learning Systems bzw. ETS ist einziger Anbieter für TOEFL-Übungskurse.

Daneben ist das Unternehmen Anlaufstelle für Bewerberinnen und Bewerber in Graduiertenstudien, bei denen Aufnahme- und Begabungsprüfungen vorausgesetzt werden. Diese Prüfungen werden in Europa und auch in Deutschland vom Educational Testing Service unter der Bezeichnung Graduate Record Examination (GRE) angeboten. Die GRE-Testbatterien gelten für eine große Zahl von Fächern. In der Regel muß man sich dem GRE General Test unterziehen, der aus mehreren Fachgebieten Fragen enthält, aber in erster Linie ein Begabungstest ist. Auch diesen führt ausschließlich SLS durch, wenn wohl auch noch nicht alle Hochschulen auf diese Dienstleistungen zurückgreifen.

Es wäre sicherlich höchst aufschlußreich, sich Inhalt und Vorgehensweise dieser Testbatterien einmal im Hinblick auf Aspekte wie das zugrundeliegende Menschenbild und die implizierten Normen und Wertvorstellungen anzusehen.

Nun zum aktuellen Stand der Dinge rund um GATS – das General Agreement on Trade in Services oder Welthandelsabkommen –, das bei der WTO gegenwärtig in der dritten Runde verhandelt wird. Schon seit 1995 hat die EU-Kommission in der WTO weitreichende Verpflichtungen zur sogenannten Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen gemacht, die den Bildungsbereich betreffen. Vor allem im tertiären Bildungssektor sind diese Verpflichtungen bereits wirksam, wie wir eben anhand der Beispiele gesehen haben. Das gleiche gilt für die Schülervergleichstests im Rahmen von PISA, an der der Educational Testing Service beteiligt war, wie das Flugblatt zu dieser Veranstaltung ja feststellt.

Im November 2001 wurde auf der WTO-Ministerkonferenz in Doha eine dreijährige neue Verhandlungsrunde zur weiteren Liberalisierung des Welthandels im Rahmen des GATS-Abkommens vereinbart. Wie das Bundeswirtschaftsministerium als zuständiger Repräsentant für die Bundesrepublik darstellt, ist das GATS "das erste multilaterale Abkommen zur fortlaufenden Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels und erfasst grundsätzlich alle Dienstleistungsbereiche". Es "ermöglicht den WTO-Mitgliedstaaten eine ´maßgeschneiderte´ Liberalisierung, d.h. individuelle Festlegung des Liberalisierungsniveaus in den unterschiedlichen Dienstleistungssektoren", und es "erkennt ausdrücklich das Recht der WTO-Mitglieder an, die Erbringung von Dienstleistungen zu regeln, um ihre nationalen politischen Ziele zu erreichen" (BMWi 2002).

Theoretisch wäre es also möglich, Bildung und Wissenschaft und andere öffentliche Sektoren vom internationalen Handel mit Waren und Dienstleistungen auszunehmen und auf nationaler und europäischer Ebene in eine gesellschaftspolitische Verständigung darüber einzutreten, was und wieviel hier jeweils "liberalisiert" werden soll. Praktisch wird diese Verständigung als bereits herbeigeführt vorausgesetzt: "auch die Zivilgesellschaft war an dem Dialog (im Vorfeld der 4. WTO-Ministerkonferenz) durch Anhörungen und bilaterale Gespräche beteiligt", läßt das Bundeswirtschaftsministerium verlauten.

In die jetzige Verhandlungsrunde ist auf Verlangen der USA, Australiens und Neuseelands die Beseitigung restlicher Handelshemmnisse in den Bereichen Hochschulbildung, Erwachsenenbildung und Weiterbildung aufgenommen. Beseitigt werden sollen u.a.: das Verbot von Dienstleistungen in Hochschulbildung, Erwachsenenbildung und Ausbildung seitens ausländischer Anbieter; Restriktionen für die elektronische Übermittlung von Kursmaterialien; ökonomische Bedarfstests für Dienstleistungsangebote; Maßnahmen, die einen örtlichen Partner vorsehen; unproportional hohe und Unwirtschaftlichkeit verursachende Schutzbestimmungen für örtliche Arbeitskräfte (US 2000).

Die Beseitigung dieser Hemmnisse durch das GATS-Abkommen hätte zur Folge, daß – zunächst – im tertiären Bildungssektor der nationalstaatliche Handlungsspielraum, z.B. zur Schaffung und Sicherung von Standards im öffentlichen Interesse oder zur Verhinderung unerwünschter sozialer Auswirkungen, drastisch minimiert würde. Öffentliche Bildungseinrichtungen dürften keine staatliche Finanzierung mehr erhalten, wenn konkurrierende private Anbieter vorhanden sind, die daraufhin gegen wettbewerbsverzerrende Bevorzugung öffentlicher Einrichtungen klagen dürften. Die Alternative wäre, daß Privatunternehmen, auch ausländische, Zugriff auf die für öffentliche Aufgaben vorgesehenen Haushaltsmittel erhalten.

Die laufenden WTO-Verhandlungen über weitere "Liberalisierung" des Welthandels mit Bildungsdienstleistungen laufen also darauf hinaus, die Möglichkeiten unwiederbringlich zu beseitigen, daß Nationalstaaten oder auch die EU ihre eigenen Standards für Qualitätssicherung im Bildungsbereich definieren und umsetzen können – mit unabsehbaren Folgen, unter denen die Abwärtsspirale der Bildungseinrichtungen für die Mehrheit der Bevölkerungen und eine extreme Kluft zu den teuren Eliteanstalten die wahrscheinlichsten sind.

Dieses Szenarium trifft die Entwicklungsländer besonders hart, aber es betrifft nicht nur sie: Einer aktuellen Studie des US-amerikanischen National Center for Public Policy and Higher Education (2002) zufolge sind die Kosten für College und Universität in den USA im letzten Jahrzehnt deutlich stärker als die Einkommen gestiegen. Ein Collegeabschluss ist "für viele Familien mit geringem Einkommen praktisch unbezahlbar geworden"; für die ärmsten Familien stieg der Prozentsatz ihres Einkommens, den sie für ein Jahr Collegeausbildung ausgeben müssen, von 13 auf 26 Prozent. Von den Reichen abgesehen: Familien aus allen Einkommensschichten verschulden sich so hoch wie nie zuvor, um die Schul- und Studiengebühren ihrer Kinder finanzieren zu können. Und am meisten zur Kasse gebeten werden in den USA inzwischen die Mittelschichten.

Zu den gewichtigsten Einflußnehmern auf nationale und EU-Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die es vorziehen, im Hintergrund zu bleiben und von der Öffentlichkeit unbeachtet zu wirken, gehören die 1958 gegründete Union of Industrial and Employers´ Confederations of Europe (UNICE) sowie der 1983 gegründete European Round Table of Industrialists (ERT). Und das Problem ist, daß diese Verbände für den Bildungsbereich nicht etwa eine andere Politik fordern, als die USA sie vertritt, sondern versuchen, mit mehr oder weniger den gleichen Mitteln mindestens mithalten zu können und am besten noch erfolgreicher zu sein, im Sinne des Profitprinzips, versteht sich.

Mitglieder der UNICE sind 34 europäische Industriellen- und Arbeitgeberverbände; für Deutschland sind dies die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Dem ERT gehören bzw. gehörten die Repräsentanten von rund vier Dutzend Konzernen an, darunter aus dem deutschen Unternehmensbereich Thomas Middelhoff von Bertelsmann, Heinrich v. Pierer von Siemens, Hasso Plattner von SAP, Manfred Schneider von Bayer, Fritz Gerber von Hoffmann-La Roche, Ron Sommer von der Deutschen Telekom, Jürgen Weber von der Deutschen Lufthansa und Gerhard Cromme von ThyssenKrupp (ERT 2002).

Die Politikvorgaben für die "Wissensgesellschaft" dieser beiden Zusammenschlüsse sind u.a. in zwei nur wenige Seiten umfassenden Papieren enthalten: Für eine Bildungs- und Ausbildungspolitik im Dienste des Wettbewerbs und der Beschäftigung. Die sieben Prioritäten der UNICE (2000), verfaßt für den EU-Gipfel in Lissabon im März 2000, sowie Förderung der Wettbewerbsfähigkeit durch die Wissensökonomie in Europa des ERT (2001), verfaßt für die Sitzung des Europarats in Stockholm im März 2001.

Die Sieben Prioritäten der UNICE lassen sich unschwer in eine zusammenfassen: Es geht um die Ökonomisierung der Verhaltensorientierungen der Individuen von der Wiege bis zur Bahre, um die Erzeugung eines Bildungsverständnisses, das sich ausschließlich am Ökonomischen – an Unternehmens- und Arbeitsmarkterfordernissen, employability – ausrichtet, andersgelagerte, eigenständige politische, ethische, soziale, ökologische oder personale Zielsetzungen hingegen nicht vorsieht.

Der ERT folgt im Wesentlichen der gleichen Agenda, versucht sich aber zumindest ansatzweise an einem Lexikon, das durch die Konsensstrategie der Bertelsmann Stiftung etwas erweitert ist: Geschöpft wird das Leitbild des neuen Europäers/ der neuen Europäerin, die nicht nur technologisch versiert sein darf, sondern in der Lage sein muß, "den Geist des Unternehmerischen zum Leben zu erwecken, als Beschäftigte und als Staatsbürgerin". Zu den Zehn Empfehlungen "für raschen Fortschritt zu erhöhter Wettbewerbsfähigkeit durch die Wissensökonomie" des ERT an den Europarat gehören: präzise Zielsetzungen für wissensökonomische Fertigkeiten und Haltungen, die in der Mindestschulzeit erworben worden sein müssen (1); Nutzung der Erfahrungen der Wirtschaft zum Wohle der Bildung (2); Beginn eines Prozesses zur Neuverhandlung und Bewertung des Lehrberufs (3); Schaffung eines europäischen Online-Dienstes für lebenslanges Lernen (4); Entwicklung lokaler und regionaler Foren mit Vertretern von Regierung, Bildungsbereich und Wirtschaft, die die kurz-, mittel- und langfristigen Qualifikationserfordernisse führender Wirtschaftssektoren definieren (5).

In solchen Papieren werden gern "Regierungen, Bildungs- und Weiterbildungsssektor, die Wirtschaft und die Individuen" ("governments, the world of education and training, companies and individuals", UNICE 2000) als ökonomisch verantwortliche Gleiche aufgelistet werden. Leider ist es aber wohl so, daß wir bislang noch über keine Interessenvertretung verfügen, die mächtig genug wäre, auf nationaler und europäischer Ebene eine neue Begründung für den Erhalt und Ausbau der öffentlichen Sektoren zu erarbeiten und diese in der politischen Auseinandersetzung auch hörbar geltend zu machen.

GATS-Verhandlungsführerin für die EU-Mitgliedsländer ist die Europäische Kommission. Trotz früherer Beteuerungen, keine weiteren Zugeständnisse in puncto "Marktöffnung" des Bildungsbereichs in die laufenden GATS-Verhandlungen einzubringen, hat die EU-Kommission auf Initiative der Niederlande nun ihrerseits die USA zur "Liberalisierung" ihres Bildungssektors aufgefordert (vgl. Grotlüschen 2000). Dazu die International Pupil- and Studentactions (2002):

"Die Liberalisierungsforderung der EU bezieht sich auf das ökonomisch bedeutsamste Segment des Bildungsmarkts, nämlich die höhere Bildung (beruflich und universitär), wo US-Anbieter wiederum besonders wettbewerbsstark sind. Mit dieser Forderung stimuliert die EU folglich Gegenforderungen der US-Anbieter, die erleichterten Zutritt auf den europäischen Märkten wünschen. Welche konkreten Zugeständnisse im Rahmen der GATS-Verhandlungen gemacht werden, ist nicht absehbar. Klar ist nun aber, dass die EU ein eigenes Interesse hat, den Bildungsbereich zu verhandeln. Kein EU-Mitgliedstaat kann sich dabei hinter den Niederlanden verstecken, denn sie alle tragen den Verhandlungsvorschlag als gemeinsame EU-Position mit.
Skandal 1: Auch die BRD ist damit einverstanden, dass über Bildung im Rahmen des GATS weiter verhandelt wird. Wäre dem nicht so, hätte sie selbstverständlich die Möglichkeit, die EU-Forderung in diesem Bereich zu blockieren.
Skandal 2: Das BMWi behält sich nach wie vor selbst vor, wen es über derartig weitreichende Forderungen informiert und wen nicht. Studierende, Bewegungen, NGOs, ParlamentarierInnen, sie alle erfahren nur auf Umwegen von solchen Entwicklungen und haben keine Möglichkeit der Reaktion. Auch wenn die vom BMWi gesetzte Frist zur Reaktion abgelaufen ist,spricht natürlich nichts dagegen, seinem Unmut über das intransparente GATS-Prozedere gegenüber der Bundesregierung, den Regierungsfraktionen und dem BMWi Luft zu machen."

Die Auseinandersetzung dreht sich also zur Zeit um zwei verschiedene Varianten neoliberalistischer Bildungspläne. Die eine ist die von den Regierungen der USA, Neuseelands und Australiens in die GATS-Verhandlungen eingebrachte Variante, die auf globale Monopolmacht der US-Konzerne zielt. Die andere Variante bedient sich ebenfalls der Marktideologie, will aber die Monopolmacht der europäischen Konzerne stärken – Bertelsmann ist hier einer der mit Abstand gewichtigsten Wortführer – und dazu kulturelle Vielfalt als spezifische Ressource ins Spiel bringen; diese Variante beharrt nicht unbedingt auf ´möglichst wenig Staat´, sondern verfolgt Hegemoniestrategien, innerhalb derer nationale Regierungen und staatlich-öffentliche Körperschaften nützliche Funktionen einnehmen können.

Interessant ist für den europäischen Hochschulraum die politische Absichtsbekundung der European University Association (EUA), des Verbandes der europäischen Universitäten und Hochschulrektorenkonferenzen. Im September 2001 unterzeichnete die EUA (2001) zusammen mit Hochschulverbänden jenseits des Atlantiks (!) eine Gemeinsame Erklärung über Hochschulbildung und das GATS. Die Verbände wenden sich darin gegen die "Liberalisierung" des Bildungsmarkts, wie sie in der laufenden GATS-Runde verhandelt wird. Zu den Prinzipien der Erklärung gehören: Höhere Bildung hat dem öffentlichen Interesse zu dienen und ist keine Ware. Zweitens: Transparenz und offene Beratungen aller Beteiligten sind unerläßlich.

Seither hat die EUA – ohne daß es bislang viel genutzt hätte – wiederholt davor gewarnt, den europäischen Hochschulraum dem GATS-Prozeß zu unterwerfen: im März 2002 in einer gemeinsamen Erklärung mit The National Unions of Students in Europe (ESIB), im Juni 2002 in einem Memorandum zu den Auswirkungen des GATS auf den Bologna-Prozeß (EUA 2002).

Die von Privatisierungen des öffentlichen Sektors Betroffenen – und das gilt früher oder später für den gesamten Bildungsbereich – sitzen im selben Boot, ob sie es wissen und wollen oder nicht.

Schließen möchte ich daher mit Erfahrungen, die die US-amerikanische Geschichtslehrerin und Bildungspolitikerin Ann Bastian, New Jersey, aus dem dortigen Abwehrkampf gegen Privatisierung prägnant wie folgt zusammenfaßt:

Lektion 1: Wir verteidigen Schulen, die wir verändern wollen, nicht den Status quo.
Lektion 2: Nicht nur mobilisieren, organisieren.
Lektion 3: Wenn man sich wohl fühlt in einem Bündnis, dann ist es nicht breit genug.
Lektion 4: Es gibt einen Feind. Nenne ihn beim Namen.
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[Lesson 1: We are defending schools we want to change, not the status quo.
Lesson 2: Don't just mobilize, organize.
Lesson 3: If you're comfortable in a coalition, it isn't broad enough.
Lesson 4: There is an enemy. Name it.
Ann Bastian, Lessons from the Voucher War, http://www.corpwatch.org/issues/PID.jsp?articleid=877 ]


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