Ingrid Lohmann

Dieser Artikel ist erschienen in: DUZ  Das unabhängige Hochschulmagazin   Nr. 19/ 11. Oktober 2002, S. 7, in der Rubrik "Standpunkt"

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Bildung - für ein Linsengericht verscherbelt

Die Europäische Kommission kommerzialisiert den europäischen Bildungsraum nach US-amerikanischem Vorbild, bevor er sein spezifisches und vielfältiges Potential entfalten kann. Davor warnt die European University Association (EUA) in ihrer jüngsten Stellungnahme zu den GATS-Verhandlungen (General Agreement on Trade in Services). Sie nähert sich damit dem Standpunkt der Globalisierungskritiker so weit, wie man es von der Vereinigung der europäischen Universitäten und Rektorenkonferenzen nur eben erwarten kann.

Die wichtigste Frage ist dabei: Wird es in Europa auch in Zukunft Bildung und Forschung als öffentliches Gut geben oder nicht? Denn die Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD), die Welthandelsorganisation (WTO) und die Europäische Kommission propagieren das amerikanische Geschäftsmodell längst auch für Europa. Zugrunde liegt ein Weltbild, das sich in der Ideologie des freien Marktes und des Humankapitals erschöpft. Aber schon im September 2001 mahnte die EUA in ihrer gemeinsamen Erklärung mit amerikanischen und kanadischen Hochschulverbänden: "Höhere Bildung dient dem öffentlichen Interesse und ist keine ´Ware´".

Seit 1995 regelt das GATS den weltweiten Handel mit Dienstleistungen, auch im Bildungssektor. In der neuen WTO-Verhandlungsrunde geht es um weitere Liberalisierung nach GATS-Regeln: Mitgliedsland A erhält Zugang zum Bildungssektor in B; A darf dann auch auf die Haushaltsmittel zugreifen, die B für öffentliche Bildung und Forschung aufbringt, weil sonst ja kein ‚freier Wettbewerb‘ wäre. Im Gegenzug erhält B für seine Dienstleistungen in einem anderen Produktbereich Zugang in A.

Trotz bisheriger Beteuerungen, im Bildungsbereich keine weitere Liberalisierung vorzunehmen, fordert die EU-Kommission nun die USA zur Öffnung ihres Marktes auf. Der Grund: Höhere Bildung, Erwachsenenbildung und Weiterbildung sind profitträchtige Segmente des ‚world education market‘. Die USA sind hier besonders exportorientiert, aber nach innen wenig liberalisierungswillig. Die EU-Kommission provoziert damit nicht nur neue Liberalisierungsforderungen der USA. Sie stellt außerdem klar, dass sie höhere Bildung als öffentliches Gut für ein Linsengericht verscherbelt: für die Möglichkeit schrankenlosen Handels mit anderen, aus EU-Sicht vielleicht lukrativeren Dienstleistungen – mit der Folge weiterer Privatisierung und Kommerzialisierung des europäischen Bildungsraums.

Seit dem jüngsten EUA-Memorandum sollte allen Entscheidungsträgern im Hochschulbereich klar sein, dass andere Wege für die oft geforderte Internationalisierung und Qualitätssicherung von Bildung beschritten werden müssen (vgl. www.unige.ch/eua/En/Activities/WTO/).

 

Prof. Dr. Ingrid Lohmann lehrt Historische Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg